Neues Modell zeigt, wie unsere sozialen Netzwerke dazu beitragen könnten, wirtschaftliche Phänomene wie Ungleichheit und Konjunkturzyklen zu erzeugen

05.07.2021 - Viele ökonomische Standardmodelle gehen davon aus, dass Menschen rationale, individuelle Entscheidungen treffen. Neue Forschungsergebnisse legen jedoch nahe, dass wirtschaftliche Phänomene wie Ungleichheit und Konjunkturzyklen besser durch Modelle erklärt werden können, die anerkennen, dass die Entscheidungen der Menschen von den Entscheidungen und dem Verhalten der Menschen in ihrem Umfeld beeinflusst werden.
Neues Modell zeigt, wie unsere sozialen Netzwerke dazu beitragen könnten, wirtschaftliche Phänomene wie Ungleichheit und Konjunkturzyklen zu erzeugen
Sparverhalten der Haushalte: Kritischer Übergang vom stabilen zum oszillierenden Regime. Abb.1 aus Asano et al, 2021 (Ausschnitt)

Um dies zu zeigen, erstellten die Forschenden ein Modell, in dem Haushalte in ein soziales Netzwerk eingebettet sind, das ihre Sparentscheidungen stark beeinflusst. Dieses relativ einfache Modell führte zu zyklischen Fluktuationen, die den Konjunkturzyklen ähneln, sowie zu entstehender Ungleichheit - konkret: viele arme Haushalte mit niedrigen Sparquoten und wenige reiche Haushalte mit hohen Sparquoten.

Diese Ergebnisse spiegeln ein Verhalten wider, das in der realen Welt zu beobachten ist, das aber von ökonomischen Standardmodellen oft nicht erfasst oder erklärt werden kann. Das zeigt, dass dieser realistischere Ansatz eine wichtige Alternative zur klassischen ökonomischen Modellierung darstellt.

Die Nutzenmaximimierung in ökonomischen Modellen ersetzen durch verhaltensbasierte Entscheidungsfindung

"Wir ersetzen die Nutzenmaximierung in der ökonomischen Modellierung durch eine verhaltensbasierte Entscheidungsfindung, um eine andere Perspektive auf Probleme wie Wirtschaftswachstum zu ermöglichen", sagt Jakob Kolb, ein ehemaliger Doktorand des Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung (PIK) und einer der Autoren der Studie, die jetzt in den Proceedings of the US National Academy of Sciences (PNAS) veröffentlicht wurde. "Obwohl das von uns verwendete Modell recht einfach ist, zeigt es, wie wir wichtige Einsichten in wirtschaftliche Phänomene verpassen, wenn wir Menschen als rationale Entscheidungsmaschinen modellieren und nicht als zutiefst soziale Wesen."

Tatsächlich macht das Modell die Vorhersage, dass während Rezessionen die Sparquoten steigen, bevor der Output ansteigt - was zu den Beobachtungen privaten Sparverhaltens in 19 OECD-Ländern passt. "Unser Ansatz scheint also in dieser Hinsicht recht realistisch zu sein", sagt Co-Autor Jobst Heitzig vom PIK. "Als nächstes werden wir die soziale Dynamik, die wir hier analysiert haben, nutzen, um die Verlagerung von Kapital weg von CO2-intensiven Wirtschaftsaktivitäten hin zu nachhaltigeren Investitionen zu modellieren."

Die Forscher beobachteten, dass, wenn die soziale Dynamik in ihrem Modell schneller wird, die Ungleichheit zwischen den Haushalten sehr plötzlich verschwinden kann, aber wenn die Haushalte ihre Freunde allzu schnell kopieren, könnten sie das Falsche lernen und ganz aufhören zu sparen.

Das Bild eines Mannes, der eine Stange auf seiner Hand balanciert

Die Autoren verwenden das Bild eines Mannes, der eine Stange auf seiner Hand balanciert, um den Unterschied zwischen ihrem neuen Modell und älteren, konventionellen Modellen zu verdeutlichen. "Ein makroökonomisches Standardmodell würde davon ausgehen, dass der Mann eine perfekte Stange balanciert und jegliche Abweichungen im Winkel durch externe Schocks, wie zum Beispiel Windböen verursacht werden", sagt Ko-Autor J. Doyne Farmer, Direktor Complexity Economics am Institute for New Economic Thinking der Universität Oxford. "Nach dieser Sichtweise bewegt der Mann nach jedem Schock seine Hand perfekt, um die Stange wieder in die Senkrechte zu bringen, aber bevor er dies erreichen kann, schlägt ein weiterer Schock zu, der die Stange wackeln lässt. Es ist klar, dass diese Erklärung falsch ist; Theorien, die davon ausgehen, dass ein Teil des Wackelns der Stange auf die unvollkommene Fähigkeit des Mannes zurückzuführen ist, die Stange auszubalancieren, liefern eine weitaus bessere Erklärung."

Die Studie ist auch ein Beispiel für erfolgreiche Nachwuchsförderung. Ihr Erstautor Yuki Asano entwickelte das Modell und fand die wesentlichen Ergebnisse während seiner Bachelorarbeit am PIK, betreut von Jakob Kolb und Jobst Heitzig. Asano wechselte dann zu seiner Promotion an die Universität Oxford, wo er beim Schreiben der Arbeit die Unterstützung von Doyne Farmer erhielt, einem Pionier der Chaostheorie, der in den 2010er Jahren ebenfalls einige Jahre am PIK verbrachte.

Artikel

Yuki M. Asano, Jakob J. Kolb, Jobst Heitzig, J. Doyne Farmer (2021): Emergent inequality and business cycles in a simple behavioral macroeconomic model. Proceedings of the National Academy of Sciences (PNAS) [DOI:0.1073/pnas.2025721118]

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