Countdown für Kopenhagen: UN-Klimakonferenz darf nicht den Anschluss an den Klimawandel verlieren

Gemeinsame Presseerklärung von UBA, PIK, WBGU und WI

Jochen Flasbarth, Präsident des Umweltbundesamtes sagte: „Neben Rettungspaketen für Banken oder Autobauer braucht die Welt einen Rettungsschirm für das Weltklima. Kopenhagen muss mehr bringen als reine Absichtserklärungen. Ich bin zuversichtlich, dass das mit genügend politischem Willen klappen wird; abgerechnet wird am letzten Tag der Konferenz, bis dahin ist eine Einigung möglich. Kopenhagen muss alle wesentlichen Bestandteile eines Abkommens festlegen: vertragsfest, nicht mehr verhandelbar und naturwissenschaftlich begründet. Faule Kompromisse darf es nicht geben, denn ein aus dem Ruder gelaufenes Klimasystem kann die Menschheit in seinen ökologischen, ökonomischen und sozialen Konsequenzen nicht mehr einfangen. Wir dürfen uns in Kopenhagen deshalb nicht nochmals vertagen. Die Klimakrise nimmt keine Rücksicht darauf, wenn wir unseren Zeitplan nicht einhalten!“

Die aktuelle Entwicklung vieler Komponenten des Klimasystems liegt am oberen Rand der Projektionen des Weltklimarates IPCC von 2007 oder geht darüber hinaus. Dies gilt auch für den weltweiten Anstieg beim Ausstoß des Treibhausgases Kohlendioxid (CO2). Die Auswirkungen der Finanzkrise werden diesen Trend nicht brechen. Mit der Anreicherung von CO2 und weiterer Treibhausgase in der Atmosphäre schwinden jedoch die Chancen, die Erwärmung auf ein beherrschbares Maß zu begrenzen. „Die Hinweise aus der Wissenschaft häufen sich, dass sich die Menschheit bedenklich nahe an kritische Kipppunkte im Klimasystem heranbewegt, selbst bei einer Erderwärmung unter zwei Grad Celsius. Die Politik muss sich in Kopenhagen endlich ihrer Verantwortung stellen und das Risiko gefährlichen Klimawandels begrenzen. Alles andere wäre eine politische Bankrotterklärung“, sagt Hans Joachim Schellnhuber, Direktor des Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung.

Jüngste Forschungsergebnisse zeigen, dass der Menschheit nur noch ein begrenztes Budget an CO2-Emissionen zur Verfügung steht, wenn die kritische Grenze von zwei Grad Celsius über vorindustriellem Niveau nicht überschritten werden soll. Für eine Zwei-Drittel-Chance, das Zwei-Grad-Ziel einzuhalten, dürften insgesamt nur noch 750 Milliarden Tonnen CO2 aus fossilen Quellen in die Atmosphäre gelangen. Ausgehend von heutigen Emissionen wäre dieses Budget bereits in 25 Jahren ausgeschöpft. Übersetzt in Reduktionsziele müsste der weltweite Ausstoß von Treibhausgasen bis 2050 um deutlich mehr als die Hälfte gegenüber 1990 reduziert werden. Die Industrieländer wären gefordert, ihre Emissionen sogar um mindestens 80 Prozent zu senken. Diese Ziele sind realistisch nur zu erreichen, wenn die Trendumkehr der globalen Treibhausgasemissionen vor 2020 erfolgt. Selbst wenn die Emissionen ab 2015 sinken würden, bedeutete dies eine notwendige Emissionsminderung von fünf Prozent pro Jahr. Zum Vergleich: Das Kioto-Protokoll verlangte von den Industrienationen eine Minderung in der gleichen Größenordnung, allerdings binnen zwanzig Jahren.

Die Summe unambitionierter nationaler Angebote zur Emissionsminderung wird physikalisch nicht ausreichen, um die Zwei-Grad-Linie zu halten. „Als Orientierung sollte eine Obergrenze für die bis zum Jahr 2050 global noch verbleibende Gesamtemissionsmenge an Kohlendioxid vereinbart werden, die in fairer Weise und nach Bevölkerungszahl auf die einzelnen Länder zu verteilen wäre“, sagt Dirk Messner, stellvertretender Vorsitzender des Wissenschaftlichen Beirats der Bundesregierung Globale Umweltveränderungen. „In jedem Fall muss in Kopenhagen die Verabschiedung von Alibizielen vermieden werden“, so Messner weiter.

„Dabei drängt die Zeit. Noch ist es möglich, die Weichen richtig zu stellen. Die Technologien stehen bereit“, sagt Manfred Fischedick, Vizepräsident und kommissarischer Leiter des Wuppertal Instituts, und verdeutlicht: „Vor allem durch den konsequenten Ausbau erneuerbarer Energien und der Ausschöpfung von Energieeffizienzpotenzialen können global und national die anzustrebenden Minderungsziele erreicht werden.“ Dass wirksamer Klimaschutz bei unverzüglichem Handeln und finanzierbar und volkswirtschaftlich unumgänglich sei, werde durch eine Vielzahl an Studien belegt, darunter eine kürzlich von vier europäischen Forschungsinstituten vorgelegte Studie (“RECIPE“) oder der World Energy Outlook 2009 der Internationalen Energieagentur. Deutschland als Innovations- und Technologiestandort könnte von einer derartigen Entwicklung ganz massiv profitieren. „Dafür“, so Fischedick weiter, „müssen wir es schaffen, eine Blaupause für eine nachhaltige und klimaverträgliche Industriegesellschaft zu entwickeln, verbunden mit einem Transformationsprozess zu nachhaltigen Konsum- und Lebensstilen.“ Um die hierfür notwendige Dynamik zu erzeugen, könne dies auch bedeuten, dass die EU im Fall eines Scheiterns der Verhandlungen allein noch weiter voran gehen muss und ihre bisher an das engagierte Handeln anderer Staaten gebundene Zusage, die Emissionen gegenüber 1990 um 30 Prozent zu reduzieren, trotzdem umsetzt. Dafür sprächen auch die Berechnungen der Klimaökonomie, die konkret zeigen, dass Europa von einer Vorreiterrolle durch geringe Klimaschutzkosten profitieren würde, auch wenn andere Länder erst später nachzögen.

 

Hinweise auf weitere PIK-Pressemitteilungen und Studien:

Hintergrund zur Pressekonferenz am 20.11.2009

Report on Energy and Climate Policy in Europe (RECIPE)

http://www.pik-potsdam.de/research/research-domains/sustainable-solutions/research-act-intl-climate-pol/recipe-groupspace/working-papers

Pressemitteilung zu RECIPE, 3.11.2009
http://www.pik-potsdam.de/aktuelles/pressemitteilungen/europa-profitiert-vom-klimaschutz-wenn-es-jetzt-handelt

Pressemitteilung zur Studie in Nature, wie viel Emissionsreduktion das 2°C-Ziel erfordert, 29.4.2009

http://www.pik-potsdam.de/aktuelles/pressemitteilungen/2-grad-ziel-erfordert-mehr-als-50-prozent-reduzierung-bis-2050

Pressemitteilung „Planetarische Grenzen: Ein sicherer Handlungsraum für die Menschheit“, 23.9.2009

http://www.pik-potsdam.de/aktuelles/pressemitteilungen/planetarische-grenzen-ein-sicherer-handlungsraum-fuer-die-menschheit

 Synthesebericht zur wissenschaftlichen Klimakonferenz in Kopenhagen im März 2009

http://www.pik-potsdam.de/news/press-releases/files/synthesis-report-web.pdf

Pressemitteilung zum Synthesebericht, 18.6.2009
http://www.pik-potsdam.de/aktuelles/pressemitteilungen/kopenhagen-klimabericht-201enicht-handeln-ist-nicht-zu-entschuldigen201c

 Pressemitteilung zu Monsun-Modell, das auf Möglichkeit abrupter Veränderungen hinweist, 19.10.2009

http://www.pik-potsdam.de/aktuelles/pressemitteilungen/monsun-modell

St. James’s Palace Memorandum (deutsch)
http://www.pik-potsdam.de/aktuelles/pressemitteilungen/dateien/nobelpreistraeger-memorandum_de.pdf/at_download/file

 

Ansprechpartner für die Medien:

Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung (PIK): Uta Pohlmann / Patrick Eickemeier, Presse- und Öffentlichkeitsarbeit, Telegraphenberg A 31, 14473 Potsdam, Tel 0049 331 288 25 07, presse@pik-potsdam.de, www.pik-potsdam.de

Umweltbundesamt (UBA): Martin Ittershagen, Pressesprecher, Wörlitzer Platz 1, 06844 Dessau, Tel: 0340 2103 2122, Fax: 0340 2104 2122, martin.ittershagen@uba.de, www.umweltbundesamt.de

Wissenschaftlicher Beirat der Bundesregierung Globale Umweltveränderungen (WBGU): Dr. Benno Pilardeaux, Leiter Medien- und Öffentlichkeitsarbeit, Reichpietschufer 60, 10785 Berlin, Tel 0049 30 263948 0, Fax 49 30 263948 50, bpilardeaux@wbgu.de, www.wbgu.de

Wuppertal Institut für Klima, Umwelt, Energie (WI): Dorle Riechert, Leiterin Öffentlichkeitsarbeit / Public Relation, Döppersberg 19, 42103 Wuppertal Tel. (+49) (0)202 2492-180 Fax (+49) (0)202 2492-108 pr@wupperinst.org, www.wupperinst.org