Antworten auf Leserzuschriften

    Nach meinen beiden Artikeln in Die Zeit und Bild der Wissenschaft erreichten mich zahlreiche Leserzuschriften. Da viele Fragen und Argumente sich wiederholen, sind unten einige Antworten zusammengestellt. Der besseren Lesbarkeit halber habe ich die Zuschriften auf die Sachfragen reduziert (die leider oft aus einem Wust von Polemik herausdestilliert werden mußten). Ich bitte um Verständnis, daß ich aufgrund der vielen Zuschriften diese in der Regel nicht mehr persönlich beantworten kann. Ich werde jedoch je nach Bedarf und Zeit die Liste der Antworten erweitern.
 

„Wie funktioniert eigentlich der Treibhauseffekt?“

    Die Temperatur der Erde ist Ergebnis eines Strahlungsgleichgewichts: einerseits kommt kurzwellige Sonnenstrahlung bei uns an, andererseits strahlt die Erde langwellige Infrarotstrahlung ab. Jeder Körper gibt Strahlung ab - je wärmer er ist, desto mehr (Stefan-Boltzmann-Gesetz). Die Erde erreicht dabei gerade die Temperatur, bei der ankommende und abgegebene Strahlung sich ausgleichen.

    Setzt man die ankommende Sonnenstrahlung (abzüglich des reflektierten Anteils von 30%) in die Stefan-Boltzmann-Gleichung ein, so ergibt sich für die Erde bei einer Temperatur von -18°C ein Strahlungsgleichgewicht. Die Oberflächentemperatur der Erde ist aber im Mittel +15°C. Woher diese Diskrepanz?

    Der Unterschied von 33 Grad wird vom natürlichen Treibhauseffekt verursacht - liegt also daran, daß die Erde von einer Atmosphäre umgeben ist, die für Infrarotstrahlung nicht gut durchlässig ist. Vorallem Wasserdampf und CO2-Moleküle absorbieren einen Teil der von der Erde abgegebenen Strahlung, und strahlen dann selber die Energie wieder in alle Richtungen ab. Ein Teil der Strahlungsenergie kommt damit wieder auf die Erde zurück. Die Strahlungstemperatur von -18°C wird deshalb nicht an der Erdoberfläche gemessen, sondern diese ins All abgehende Strahlung wird höher oben in der Atmosphäre abgegeben. Dort oben in der Atmosphäre ist es ja tatsächlich so kalt.

    An der Erdoberfläche gilt eine etwas andere Energiebilanz - zur Sonnenstrahlung kommt der Anteil der langwelligen Strahlung noch dazu, der von den Molekülen weiter oben teilweise auch nach unten gestrahlt wird. Daher kommt unten mehr Strahlung an, und zum Ausgleich muß die Oberfläche mehr Energie abgeben, also wärmer sein (+15°C), um auch dort unten wieder ein Gleichgewicht zu erreichen. Ein Teil dieser Wärme wird von der Oberfläche auch durch atmosphärische Konvektion nach oben abgeleitet. Ohne diesen natürlichen Treibhauseffekt wäre die Erde lebensfeindlich und völlig vereist.

    Eine Abbildung der Energiebilanz finden Sie hier.

    Manche „Skeptiker“ behaupten, der Treibhauseffekt könne gar nicht funktionieren, da (nach dem 2. Hauptsatz der Thermodynamik) keine Strahlungsenergie von kälteren Körpern (der Atmosphäre) zu wärmeren Körpern (der Oberfläche) übertragen werden könne. Doch der 2. Hauptsatz ist durch den Treibhauseffekt natürlich nicht verletzt, da bei dem Strahlungsaustausch in beide Richtungen netto die Energie von warm nach kalt fließt.

    Was hat der Mensch mit dem Treibhauseffekt zu tun? Der Mensch hat durch die Anreicherung der Atmosphäre mit Spurengasen (vorallem CO2) den an sich lebenswichtigen Treibhauseffekt um ca. 2% (bezogen auf die Strahlungswirkung in W/m2) verstärkt - man spricht hier vom „anthropogenen“ Treibhauseffekt, der nun zum natürlichen Treibhauseffekt hinzukommt. Diese Störung der Strahlungsbilanz muß zu einer Erwärmung der Erdoberfläche führen, wie sie ja auch tatsächlich beobachtet wird.

„Wasserdampf, und nicht CO2, ist das wichtigste Treibhausgas.“

    Stimmt, wenn man vom natürlichen Treibhauseffekt spricht. Etwa 66 % des natürlichen Treibhauseffekts, der seit Jahrmillionen die Erde bewohnbar hält, wird von Wasserdampf verursacht, 29 % von CO2. Selbstverständlich wird die Wirkung des Wasserdampfes in Klimamodellen berücksichtigt, sonst würden sie eine völlig tiefgefrorene Erde darstellen.

    Warum liest man weniger über Wasserdampf als über CO2? Weil der Mensch den Wasserdampfgehalt der Atmosphäre nicht direkt beeinflussen kann, wohl aber deren CO2-Gehalt bereits um 30 % erhöht hat.

    Dennoch  spielt Wasserdampf auch bei der vom Menschen verursachten Erderwärmung eine Rolle, und zwar weil der Wasserdampfgehalt der Atmosphäre stark von der Temperatur bestimmt wird - steigt die Temperatur, steigt auch der Wasserdampfgehalt. Damit wirkt Wasserdampf als Verstärker der globalen Erwärmung (und umgekehrt, etwa bei der letzten Eiszeit, als Verstärker der damaligen Abkühlung).

    Hätten die Klimaforscher den Wasserdampf wirklich unterschätzt oder gar vergessen, wie die „Klimaskeptiker“ gelegentlich behaupten, so wäre das eine schlechte Nachricht: wir hätten einen Verstärker vergessen, und die Erderwärmung würde dann noch schlimmer ausfallen als von den Klimaforschern bislang vorhergesagt. Zum Glück ist das aber nicht der Fall - wie gesagt, Wasserdampf ist bereits in allen Modellen berücksichtigt.

„Der menschliche Treibhauseffekt liegt noch deutlich im Rahmen der Unsicherheiten“

    In dem Buch „Klimafakten“ von Berner und Streif steht zum Treibhauseffekt:

„Im Vergleich mit dem Gesamt-Treibhauseffekt unserer Erde machen die anthropogenen Anteile beim Kohlendioxid 1,2% und bei den Nicht-Kohlendioxid-Gasen 0,9% aus. Beide Werte liegen noch deutlich im Bereich der Unsicherheiten, die bei der heutigen Bestimmung des Gesamt-Treibhauseffekts zu veranschlagen sind.“

    Diese Aussage ist Wort für Wort gelesen zwar richtig, aber für Laien irreführend. Weshalb?

    Zum einen wird nirgendwo erklärt, was der Gesamttreibhauseffekt ist. Nach meiner Umfrage denken die meisten Laien hier: die gegenwärtige Erderwärmung. Sie sind überrascht: im Gegensatz zur allgemeinen Panikmache ist der Treibhauseffekt also nur zum kleinsten Teil vom Menschen verursacht...

    Die Zahl 2% trifft jedoch nur zu, wenn man den menschlichen Treibhauseffekt (der die derzeitige Erderwärmung überwiegend verursacht) mit dem natürlichen Treibhauseffekt vergleicht, der seit jeher die Erde warm hält und der etwa 33°C ausmacht. Schon eine grobe (weil lineare) Überschlagsrechnung ergibt, daß 2% von 33°C etwa 0,7°C Erwärmung verursacht haben sollten - was genau der im 20. Jahrhundert tatsächlich gemessenen Erderwärmung entspricht und daher die Warnungen der Klimaforscher stützt, nicht etwa relativiert. Dies wird in dem Buch leider nicht erläutert.

    Weiter wird suggeriert, der menschliche Einfluß auf die Strahlungsbilanz sei gar nicht sicher meßbar, da er „noch deutlich im Bereich der Unsicherheiten“ liegt. Diese Unsicherheit bezieht sich darauf, ob der natürliche Treibhauseffekt nun 33°C oder nur 32°C beträgt.

    Diese Aussage läßt sich am besten mit einer Analogie verstehen. Stellen Sie sich vor, bei Ihrem Nachbarn fahren LKW mit Erde vor und schütten sein Grundstück auf, bis es zwei Meter höher liegt als zuvor. Ihre Aussicht ist damit ruiniert, und sie beschweren sich. Ihr Nachbar antwortet: „Nun regen Sie sich nicht auf, ich habe mein Grundstück doch nur um 2% erhöht, denn die Höhe über dem Meeresspiegel war ja ohnehin schon hundert Meter. Die zwei Meter liegen noch im Bereich der Unsicherheit, da wir die Höhe über Meeresniveau ohnehin nur bis auf drei Meter Genauigkeit kennen.“

    Selbstverständlich kann man die Erhöhung des Grundstücks um zwei Meter genau messen, selbst wenn die absolute Höhe über dem Meeresspiegel nur ungenau bekannt ist, und genauso verhält es sich auch mit dem vom Menschen verursachten Treibhauseffekt. Dabei ist der Meeresspiegel als Bezugsniveau noch vergleichsweise real - die zum 2%-Vergleich bemühte Erdatmosphäre ohne jeden Treibhauseffekt ist dagegen eine rein theoretische Bezugsgröße.

„Die Sonne wirkt auch indirekt auf das Klima, etwa durch die Wolkenbildung.“

    Man unterscheidet die direkte Wirkung von solaren Schwankungen (also einfach die Schwankung in der Strahlungsintensität in W/m2, die ich in meinem Artikel diskutiere) und indirekte Wirkungen (die zu erläutern der Platz in meinem Artikel nicht reichte).

    Über mögliche indirekte Wirkungen gibt es eine wissenschaftliche Diskussion aber noch keine klaren Belege. Diskutiert wird vorallem eine mögliche Korrelation von der auf die Erde treffenden kosmischen Strahlung mit der Wolkenbedeckung. (Die kosmische Strahlung hängt mit der Sonnenaktivität zusammen, da der Sonnenwind das Erdmagnetfeld beeinflußt, und dies wiederum die kosmische Strahlung abschirmt.) Satellitenmessungen der Wolkenbedeckung (ISCCP, International Satellite Cloud Climatology Project) von 1983-1993 schienen eine hohe Korrelation mit Messungen der kosmischen Strahlung aufzuweisen (Svensmark 1998). Allerdings war der Meßzeitraum noch zu kurz um sichere Schlüsse zu ziehen, denn Korrelationen sagen nur etwas über eine gewisse Ähnlichkeit im Kurvenverlauf aus und können auch durch Zufall entstehen (wie die sprichwörtliche Korrelation von Geburtenrate und Zahl der Störche in Deutschland). Inzwischen sind die ISCCP-Satellitendaten bis 1999 publiziert worden, und diese Korrelation hat sich nicht bestätigt - mit den neuen Daten ergibt sich sogar eine negative Korrelation.

Kosmische Strahlung (blaue Kurve) und von Satelliten gemessene Wolkenbedeckung (ISCCP-Daten, schwarze Kästchen).
Der rote Pfeil bezeichnet den von Svensmark (1998) gezeigten Teil der ISCCP-Daten, aus dem er auf eine Korrelation von kosmischer Strahlung und Wolkenbedeckung schloß. Abb. aus P. Laut (2003).

    Trotz dieses Fehlschlags ist nicht auszuschließen, daß künftig noch indirekte Wirkmechanismen der Sonne identifiziert werden können. Ich halte es aber für unwahrscheinlich, daß diese stärker sind als die direkte Wirkung der Strahlungsintensität. Und zwar aus folgendem Grund: die direkte Wirkung der Sonne, die heute schon in Modellen berücksichtigt wird (siehe etwa die in meinem BdW-Artikel abgebildete tausendjährige Simulation des PIK), erklärt die beobachtete Reaktion des Klimasystems ja bereits ganz gut - etwa das Ausmaß der Abkühlung in den solaren Minima. Es gibt hier also keine „Erklärungslücke“ - also keine beobachteten starken Schwankungen des Klimas, die durch die bislang bekannten Mechanismen nicht erklärbar sind.

    Noch eine Anmerkung zu Korrelationen: „Klimaskeptiker“ begrüßen jede Korrelation von Sonnenaktivität und Klimadaten stets wie einen Beleg gegen die Treibhauswirkung von CO2. Dies ist aus zwei Gründen nicht schlüssig. Erstens muß die Empfindlichkeit des Klimas gegenüber CO2-Änderungen und Sonnenschwankungen jeweils unabhängig voneinander bestimmt werden; eine hohe Empfindlichkeit gegenüber der Sonne läßt dabei nicht etwa auf eine geringe Empfindlichkeit gegenüber CO2 schließen. (Auch der an sich näher liegende umgekehrte Schluß ist aufgrund der verschiedenen Wirkmechanismen nicht stichhaltig.) Zweitens läßt sich diese Empfindlichkeit (und die Stärke einer Wirkung) prinzipiell nicht aus einer Korrelation ableiten, da Korrelationen unabhängig von der Amplitude sind. Wenn behauptet wird, aufgrund einer Korrelation könnten zwei Drittel der Erwärmung seit 1750 auf die Sonne zurückgeführt werden, ist dies schlicht falsch, egal wie hoch die Korrelation tatsächlich ist. Wäre die Sonnenschwankung (bei ansonsten gleichem Zeitverlauf) nur halb oder auch nur ein hundertstel so stark gewesen, der Korrelationskoeffizient wäre der gleiche, und er verrät nichts darüber, welcher Anteil des Trends mit der Sonne erklärt werden könnte. Auch die in meinem Artikel abgebildete Sonnenfleckenkurve kann nicht etwa so interpretiert werden, daß die Sonne die gesamte Erwärmung bis 1940 erklärt - genauso könnte es die Hälfte oder ein Drittel sein, denn die Skalierung der Kurven ist frei wählbar.

„Die Klimawechsel der Erdgeschichte beweisen, das CO2 nicht das Klima kontrolliert“

    In meinem BdW Artikel nenne ich ja eine Reihe von Ursachen vergangener Klimawandel, und CO2 ist nur einer von mehreren Einflußfaktoren und keineswegs immer dominant. In manchen Zeiträumen war der CO2-Gehalt der Atmosphäre fast konstant, etwa im Holozän (bis zum 18. Jh.), und konnte schon deshalb kaum eine Rolle bei den dennoch vorhandenen Klimaschwankungen spielen. Während der letzten Eiszeit gab es abrupte Klimawechsel, die nichts mit CO2 zu tun hatten. Über andere Zeiträume, etwa wenn man viele Jahrmillionen betrachtet, hat sich zwar das CO2 deutlich geändert, gleichzeitig änderte sich aber auch die Verteilung der Kontinente, die ebenfalls stark das Klima beeinflussen kann. Es geht also nicht darum, daß CO2 der einzige oder stets dominante Klimafaktor war.

    Es geht vielmehr darum, die Stärke des CO2-Effekts zu bestimmen - wieviel Erwärmung bringen x % Erhöhung des CO2. Und da stützen die Daten der Klimageschichte unser heutiges Wissen über die Klimawirkung des CO2, und damit leider auch die Sorge der Klimaforscher über den anthropogenen CO2-Anstieg. Das oft gehörte Argument „Klima hat sich schon immer geändert, und nicht immer parallel zum CO2“ ist also leider kein stichhaltiger Grund zur Entwarnung.

„Zur Zeit der Wikinger war es in Grönland wärmer“

    Dass Erik der Rote im Jahr 982 seinen Landeplatz „Grönland“ nannte (von „Klimaskeptikern“ immer gerne angeführt) ist kein ernstzunehmendes Argument dafür, dass es damals wärmer war als heute - auch heute zeichnet sich diese Region Grönlands (bei K’agssiarssuk) durch üppiges Grün aus. „Es sieht da aus wie bei uns auf einer Voralp. Blumen hat es wie in den Alpen und die Hänge sind im Sommer schön grün. Darum haben die ersten Siedler das Land Grönland, grünes Land, genannt. (...) Heute wird dank der grünen Weiden intensiv Schafzucht getrieben. Pferde, Kühe, Schafe und Geflügel sind die Haustiere, genau wie bei Erik dem Roten vor tausend Jahren.“ Weiter heißt es: „In den Mistbeeten gedeihen unter anderem Radieschen, Salat, Petersilie, Erdbeeren und Spinat, während man in Freilandkultur Rhabarber, verschiedene Arten Kohl, Kartoffeln, Spinat und Salat züchtet. (...) Es wird unter anderem mit zwei Ernten Roggen pro Jahr gearbeitet.“ (Beschreibung aus einem Grönlandbuch aus den sechziger Jahren.)

    Der Dye3 Eisbohrkern liegt der Wikingersiedlung am nächsten (Abbildung). Er zeigt, dass im Süden Grönlands die Temperaturen Mitte des 20. Jahrhunderts (am Ende des Bohrkerns) wärmer waren als je in den vorherigen dreitausend Jahren.

    Ähnliches gilt übrigens für den ebenfalls oft zitierten Weinanbau in England im Mittelalter. Wenig bekannt ist, dass auch heute in England in nicht unerheblichen Mengen Wein produziert wird, der sich in Qualität und Herstellungspreis gegen Konkurrenz vom Weltmarkt behaupten muss. Letzteres war beim klösterlichen Weinbau im Mittelalter nicht der Fall - die Mönche arbeiteten für Gottes Lohn, und den Messwein durch Handel zu beschaffen war erheblich schwieriger als heute. Der damalige Weinbau kann nicht als ernsthafter Beleg für ein wärmeres Klima gelten.

    Zudem geht es, wie in dem Artikel geschildert, bei der Erderwärmung nicht darum, dass jeder einzelne Ort wärmer geworden ist (es gibt Ausnahmen - gerade Grönland reagiert in der Klimageschichte oft auf regionale Änderungen der Atlantikströmungen und entwickelt sich oft anders als die globale Temperatur). Es geht darum, dass die mittlere Temperatur der Erde wärmer geworden ist.

Ergänzung 15.12.2004: Die Frage, ob es in Grönland zur Zeit der Wikinger wärmer war als heute, wird von "Klimaskeptikern" oft sehr emotional diskutiert - so als könne man daraus wesentliche Schlüsse über den menschlichen Einfluss auf das Klima ziehen. Daher möchte ich meinen letzten Punkt nochmals unterstreichen und ausführen: die Daten von einer einzelnen Region eignen sich in keiner Weise, um die globale Erwärmung oder den menschlichen Einfluss auf das Klima zu belegen oder zu widerlegen, denn regionale Schwankungen (die etwa durch Änderungen der atmosphärischen Zirkulation entstehen) sind immer noch wesentlich größer (mehrere Grad) als die durch globale Antriebe (etwa Treibhausgase oder Sonnenaktivität) verursachten Trends (bislang weniger als ein Grad). Obwohl die globale Mitteltemperatur derzeit ansteigt, gibt es deshalb auch Regionen, in denen das Klima sich abkühlt. Globale Erwärmung heisst eben nicht: "Erwärmung überall auf dem Globus" sondern: "Erwärmung der globalen Mitteltemperatur". Globale Trends kann man daher nur durch eine Zusammenschau aller Daten identifizieren, etwa in Form von globalen oder hemisphärischen Mittelwerten, bei denen sich die regionale Umverteilung von Wärme aufgrund geänderter Zirkulation wegmittelt.

D.h.: obwohl die oben gezeigten Sauerstoffisotopendaten im 20. Jahrhundert klar die höchsten Werte seit Jahrtausenden aufweisen, kann dies nicht als Beleg für die globale Erwärmung gelten. Bereits auf dem Summit von Grönland (GISP und GRIP Eiskerne) sieht es nämlich anders aus. Die obigen Daten sind aber interessant, wenn es um den Klimaverlauf in Grönlands Süden geht, also auch für das Schicksal der Wikingersiedlung.

Erst wenn der globale Antrieb durch die Treibhausgase wie erwartet weiter zunimmt und mehrere Grad erreicht, wird dieser Effekt auch lokal (also z.B. in Grönland) größer werden als die natürlichen Schwankungen des Klimas (wie Physiker sagen würden, überwiegt das "Signal" dann das "Rauschen", was derzeit lokal noch nicht der Fall ist). Da dies mit hoher Wahrscheinlichkeit noch in diesem Jahrhundert passieren wird, muss man auch davon ausgehen, dass mit hoher Wahrscheinlichkeit Grönland insgesamt dann deutlich wärmer wird. Dies ist der Grund, warum Wissenschaftler (z.B. im jüngst publizierten Arctic Climate Impact Assessment) ein verstärktes Abschmelzen des Grönlandeises für wahrscheinlich halten.

„Wollen Sie mit dem Untertitel ‚Rote Karte für die Leugner’ Andersdenkende vom Platz stellen?“

    Zunächst: der Titel stammt von der Redaktion (ebenso der Titel des Zeit-Artikels), mein Titelvorschlag hatte gelautet: „Aus der Klimageschichte lernen“. Zugegebenermaßen für Journalisten etwas trocken. In der Regel behalten sich Redaktionen daher die Aufmachung von Artikeln (incl. Titel, Bebilderung, Zwischentitel usw.) vor.

    Dennoch ist der Vergleich mit dem Sport gar nicht schlecht, denn auch in der Wissenschaft wird nach gewissen Regeln gespielt. Dazu gehört etwa, daß man Resultate in Fachpublikationen dokumentiert, und zwar so, daß Kollegen die Methodik und Ergebnisse nachvollziehen und überprüfen können. Solche Fachpublikationen werden vor dem Abdruck begutachtet (und in der Folge häufig nochmals überarbeitet), um handwerkliche Mängel und Unklarheiten soweit wie möglich zu vermeiden. Dies ist ein gewiß nicht unfehlbares, aber doch recht effektives System der Qualitätskontrolle. Zudem gehört es zu den Spielregeln der Wissenschaft, nicht einseitig nur die eigene These stützende Daten zu präsentieren und Unpassendes einfach wegzulassen; Für und Wider müssen gleichermaßen nüchtern diskutiert werden.

    Kontroverse Diskussionen und ständiges Hinterfragen und Kritisieren gehören in der Wissenschaft zum Alltag und machen mit ihren Reiz aus. Dabei Andersdenkende zu respektieren ist für mich selbstverständlich, gerade auch wenn sie originelle Außenseiterthesen vertreten - vorausgesetzt, sie tun dies innerhalb der Spielregeln, also aufgrund nachvollziehbarer Daten und sauberer Argumentation.

    Eine „rote Karte“ bekommt man nicht, weil man im falschen Team ist oder andere Meinungen vertritt, sondern für unsportliches Verhalten. Dazu gehört für mich, wenn jemand agressiv Öffentlichkeitsarbeit betreibt (etwa durch aufwendig produzierte und in hoher Auflage an Abgeordnete und Journalisten verteilte Broschüren, Pressemitteilungen, Medienauftritte usw.) mit wissenschaftlichen Darstellungen, die entweder bereits widerlegt sind oder wegen rein handwerklicher Fehler nicht in einer begutachteten Fachpublikation veröffentlicht werden könnten (was auch gar nicht erst versucht wird). Wer so an die Öffentlichkeit geht, muß sich auch in der Öffentlichkeit Kritik an seinen Äußerungen gefallen lassen. Er ist auch eigentlich kein „Skeptiker“ (Skepsis ist gesund und geradezu die Essenz der Wissenschaft) sondern treffender ein „Leugner“ (dieser Begriff beschreibt besser die aktive Lobbyarbeit mit unhaltbaren Argumenten).

    Die Tatsache, daß die „Leugner“ trotz aller Bemühungen bislang kein ernstzunehmendes Argument gegen die globale Erwärmung gefunden haben, ist vielleicht das beste Kompliment an die Klimaforschung.

„Sie übertreiben die Gefahren des Klimawandels, um mehr Forschungsmittel zu bekommen.“

    Ein beliebter, wohlfeiler und kaum zu widerlegender Vorwurf - denn er zielt auf angebliche verborgene Motive, und niemand kann zweifelsfrei seine inneren Motive belegen. Dennoch ist dieser Vorwurf falsch und unsachlich.

    Für mich kann ich sagen: meine privaten Konsequenzen aus dem Klimawandel (u.a. kein Auto zu besitzen, am Haus optimale Wärmedämmung und Solaranlage) habe ich wohl kaum deshalb gezogen, um mehr Forschungsmittel zu bekommen.

    Die Kollegen, die ich gut kenne, ringen ebenso wie ich bei jedem Gespräch mit Journalisten immer wieder um eine möglichst ausgewogene und genaue Darstellung, die die Risiken weder übertreibt noch herunterspielt. Oft zum Leidwesen der Journalisten, die stärkere und klarere Aussagen vorziehen würden. So ist es schon vorgekommen, daß dieselben Aussagen von mir von dem einen Journalisten als Beleg für Entwarnung, von einem anderen für einen sehr dramatisierenden Artikel genutzt wurden. Gegen beides habe ich gleichermaßen protestiert. Klimaforscher wenden sich gegen falsche oder unwissenschaftliche Darstellungen nicht nur von Seiten der „Skeptiker“; als etwa im Sommer 2001 die New York Times aufgeregt meldete, am Nordpol sei kein Eis mehr, haben die deutschen Klimaforscher einhellig die anrufenden Journalisten beruhigt, daß dies nicht als Hinweis auf die globale Erwärmung gewertet werden kann.

    Als Kollektiv sind Klimaforscher gewiß weder bessere noch schlechtere Menschen als andere. Es gibt darunter sicher manche, die für unlautere Motive anfällig sind. Doch in der Kultur der Wissenschaft gibt es auch starke Kräfte, die dem entgegenwirken. So hängt der Status eines Wissenschaftlers weniger von materiellen Dingen ab als von seiner wissenschaftlichen Reputation. Und die wird beschädigt, wenn er Thesen vertritt, die sich später als falsch oder unhaltbar erweisen. Daher sind Wissenschaftler in ihren Äußerungen in der Regel erheblich vorsichtiger als andere Menschen. Während es für einen Anwalt oder einen Geschäftsmann völlig legitim ist, ein Partikularinteresse zu vertreten und möglichst viel für seine Seite herauszuholen, ist es für Wissenschaftler vorallem wichtig, recht zu behalten und keine voreiligen oder ungesicherten  Behauptungen aufzustellen. Zudem sind Wissenschaftler meist eigensinnige Individualisten - sie gemeinsam für irgendein Projekt zu organisieren „is like herding cats“, wie ein Kollege einmal resignierend ein englisches Sprichwort zitierte. Aus all diesen Gründen ist es äußerst unwahrscheinlich, daß ein Kollektiv von mehreren tausend Wissenschaftlern aus vielen verschiedenen Ländern in einem riesigen Komplott gegenüber der Öffentlichkeit das Zerrbild einer Gefahr der globalen Erwärmung zeichnet, nur um an Forschungsmittel heranzukommen.

    Wer zu Geld zu kommen will, kann dies übrigens viel einfacher auf der Seite der „Klimaskeptiker“. Ein Klimaforscher, der bereit ist öffentlich die Gefahr der globalen Erwärmung herunterzuspielen, ist für bestimmte Industriezweige äußerst wertvoll, und es winken saftige Honorare - um so mehr als es kaum solche Wissenschaftler gibt.

Anmerkung zu den abgedruckten Leserbriefen

    Zum Schluß noch eine Anmerkung zu den in Bild der Wissenschaft (April 2003) abgedruckten Leserbriefen (teilweise Resultat einer Leserbriefkampagne, zu der nach Erscheinen meines Artikels in den E-mail-Netzwerken der "Skeptiker" aufgerufen wurde). Leider hatte mir die Redaktion nur drei der sechs abgedruckten Leserbriefe zur Beantwortung gegeben, sodass ich in meiner abgedruckten Antwort nicht auf alles eingehen konnte. Daher hier noch die Korrektur einiger falscher Aussagen in diesen Leserbriefen.

    Christian Kroitsch schrieb: "Faktum ist jedenfalls, dass es um das Jahr 1000 eine ähnliche Koinzidenz von Sonnenfleckenmaxima gab wie heute. In den Alpen waren die Gletscher fast vollständig verschwunden, in Skandinavien gab es gar keine mehr." Ich habe diese Behauptung einem norwegischen Glaziologen vorgelegt. Er schrieb mir: die Geschichte der skandinavischen Gletscher der letzten Jahrtausende ist gut belegt. Im Mittelalter, um das Jahr tausend, waren sämtliche norwegischen Gletscher vorhanden, die es auch heute gibt; einige waren sogar noch größer als heute. Ich habe dazu auch noch einen Schweizer Experten für die dortige Klimavergangenheit befragt. Nach seiner Auskunft ist auch die Aussage über die Alpengletscher falsch, sie waren im Mittelalter klar größer als heute.

    Theodor Landscheidt schrieb (zur Klimarekonstruktion von Mann et al.): "Mann hat seine Kurve aus Surrogatdaten und gemessenen Temperaturen zusammengeflickt". Dies trifft nicht zu. Die Rekonstruktion von Mann und Kollegen nutzt durchgehend Proxydaten und in den letzten Jahrhunderten zusätzlich einige lange instrumentelle Reihen; sie ist allgemein als die methodisch sauberste Rekonstruktion anerkannt. Die im 20. Jahrhundert gemessenen Temperaturen wurden zur Kalibrierung der Methode benutzt, in dem Zeitraum, in dem Proxydaten und gemessene Daten überlappen. Auch in meiner Grafik in Bild der Wissenschaft sind die gemessenen Temperaturen nach Jones et al. und die Rekonstruktion von Mann et al. als separate Kurven gezeigt, auch wenn sie sich aufgrund der hohen Übereinstimmung fast überdecken. (Landscheidt ist übrigens ein seit Jahren in der "Skeptiker"-Szene aktiver pensionierter Jurist, ungeachtet des phantasievollen Institutsnamens in seiner Anschrift.)

Stefan Rahmstorf, im Februar 2003