Interview zum Jahrhundertsommer 2003 für g-o.de

g-o: Auch wenn „eine Hitzewelle noch keinen Sommer macht“ – „Jahrhundertsommer“ und „Jahrtausendfluten“ scheinen sich jedoch in letzter Zeit zu häufen, auch die Statistiken der Rückversicherer deuten darauf hin. Ist dies schon ein erstes Indiz für einen Klimawandel?

Rahmstorf: Dies sind Indizien, Belege sind es aber nicht. Wissenschaftlich belegt ist der Klimawandel nicht durch Extremereignisse, sondern durch den Anstieg der mittleren globalen Temperatur im abgelaufenen Jahrhundert, insbesondere in den letzten Jahrzehnten. Die drei wärmsten Jahre seit Beginn der Messungen waren 1998, 2002 und 2001. Die 1990-er waren wahrscheinlich das wärmste Jahrzehnt in den letzten tausend Jahren.

Werden Wetterkapriolen dieser Art in Zukunft weiter zunehmen? Werden Hitzewellen und Starkregen zur Normalität?

Das ist durchaus wahrscheinlich. Wenn das Klima wärmer wird, nimmt natürlich auch die Wahrscheinlichkeit von starken Hitzewellen zu. In einem wärmeren Klima kann die Atmosphäre auch mehr Wasser aufnehmen, was bei bestimmten Wettersituationen dann zu extremeren Niederschlägen führt.

Wie würde sich eine weitere Erwärmung auf das deutsche Klima auswirken?

Mit regionalen Prognosen muss man noch vorsichtig sein. Dass mehr Kohlendioxid in der Atmosphäre global zu einer Erwärmung führen muss, lässt sich leicht ausrechnen – dies hat Arrhenius ja bereits vor über hundert Jahren getan. Wie sich dabei die atmosphärische Zirkulation umstellen wird, ist aber schwerer vorauszusehen. Dies bestimmt das Regionalklima. Dennoch lassen sich auch dafür Wahrscheinlichkeitsaussagen machen, in die detaillierte Analysen der gemessenen regionalen Trends einfließen. Außer der Erwärmung wird es bei uns wahrscheinlich im Sommer trockener werden, vor allem im Osten, im Winter dagegen eher feuchter, besonders im Westen und Süden. Die Gefahr von Winterstürmen und Starkniederschlägen nimmt zu.

Ab wann werden die Veränderungen deutlich spürbar werden? Sind sie es vielleicht schon?

Die Erwärmung ist auch bei uns eine gemessene Tatsache – die Temperaturen in Deutschland haben sich im abgelaufenen Jahrhundert um knapp 1 Grad erhöht, also noch mehr als der globale Durchschnitt. Spürbar für den Menschen ist aber die Mitteltemperatur über mehrere Jahre kaum – wir spüren und erinnern uns an die Extreme, und hier gibt es das schon eingangs erwähnte Problem, dass sich einzelne Extreme wie dieser Sommer oder die Elbeflut nicht direkt und belegbar auf den Klimawandel zurückführen lassen, weil der Zusammenhang nur statistisch ist. Raucher bekommen häufiger Krebs, aber bei einem einzelnen Krebsfall kann man auch nicht sagen, ob es am Rauchen gelegen hat – auch Nichtraucher können ja an Krebs erkranken. Der Schweizer Klimatologe Christian Pfister hat es einmal so ausgedrückt: das Schlüssige (nämlich der Anstieg der Mitteltemperatur) ist nicht spektakulär, das Spektakuläre ist aber nicht schlüssig.

Hans von Storch vom GKSS Geesthacht prognostiziert im aktuellen Spiegel, dass selbst bei „mächtigen Anstrengungen im Klimaschutz“ sich der CO2-Gehalt in jedem Falle verdoppeln werde.
Wie sehen Sie die Chancen im Klimaschutz?
Lässt sich die für Ende des Jahrhunderts prognostizierte Erwärmung um bis zu 5,8°C noch abwenden oder abschwächen?

Der weitere Verlauf hängt von unserem Verhalten ab. Wenn wir morgen unsere Emissionen um ca. 60% reduzieren würden, würde ab morgen der CO2-Gehalt der Atmosphäre auch nicht weiter steigen. Die globale Temperatur würde in diesem Fall noch wenige zehntel Grad wärmer werden, weil die Reaktion des Klimasystems durch das Wärmespeichervermögen der Ozeane etwas hinterherhinkt. Mehr aber nicht.
Wer also sagt, die Erwärmung lässt sich nicht stoppen, macht keine naturwissenschaftliche sondern eine politische Aussage. Er drückt damit sein mangelndes Vertrauen in die Fähigkeit unseres politischen Systems aus, angemessen und rasch auf die Gefahr zu reagieren. Man mag diesen Pessimismus teilen oder nicht. Falsch finde ich es, wenn wir dieses „man kann sowieso nichts mehr machen“ als Ausrede benutzen, um uns aus der Verantwortung für unser Handeln zu stehlen.

Welche Klimaschutzmaßnahmen halten Sie für sinnvoll und durchsetzbar?

Der Klimaschutz erfordert eine drastische Reduktion unserer Emissionen bei weltweit steigendem Energiebedarf. Dies bedeutet nichts anderes als die Umstellung auf ein anderes Energiesystem in den kommenden fünfzig Jahren: wesentlich höhere Energieeffizienz, wesentlich mehr erneuerbare Energien. Die Ökonomen streiten sich, was dies kosten würde. Mein Eindruck ist, dass hier der Erfindungsreichtum der Menschen oft unterschätzt wird. Optimistischere Studien kommen zu dem Schluss, dass wir nur einen winzigen Bruchteil des Bruttosozialprodukts aufwenden müssten, um den Klimawandel zu stoppen – in den ersten Jahrzehnten kann man durch die Effizienzsteigerungen sogar Geld verdienen. Gerade für Deutschland eröffnen sich bei den erforderlichen Technologien ökonomische Chancen. Wie bei jeder Umstellung wird es natürlich auch einige Verlierer geben – deren heftige Lobbytätigkeit gegen Klimaschutz ist ja bereits zu beobachten.

Wie können wir uns auf die möglicherweise nicht mehr abzuwendenden Veränderungen einstellen?

Bei allen langfristigen Planungen – z.B. in der Forstwirtschaft, beim Küstenschutz oder dem geplanten Havelausbau – kann man nicht mehr die Klimaverhältnisse des 20. Jahrhunderts als Planungsgrundlage nehmen – dass unser Klima sehr wahrscheinlich immer wärmer werden wird muss hier von vornherein berücksichtigt werden, wenn nicht viel Geld in den Sand gesetzt werden soll.