Interview in Die Welt, 16.9.2002

Sturm- und Flutkatastrophen haben in diesem Sommer Europa heimgesucht. Sind dies Zeichen für einen dramatischen Klimawechsel? Wie wird sich das Klima in Deutschland verändern? Professor Stefan Rahmstorf vom Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung nimmt zu diesen Fragen Stellung. Mit ihm sprach Norbert Lossau.

DIE WELT: In diesem Sommer ist es in Mitteleuropa durch extreme Regenfälle zu dramatischen Überflutungen gekommen. Sind dies die Folgen eines sich bereits vollziehenden Klimawandels?

Stefan Rahmstorf: Aus einem einzelnen Ereignis kann man grundsätzlich nicht auf einen Klimawandel schließen. Wenn meine Wohnung überflutet, weil der Schlauch der Waschmaschine geplatzt ist, kann ich daraus auch nicht folgern, dass Waschmaschinenschläuche heute schlechter sind als früher. Man muss sich die Statistik vieler Ereignisse ansehen, um beurteilen zu können, ob es hier eine Zunahme gibt oder nicht. Nehmen wir als hypothetisches Beispiel einmal an, Waschmaschinenschläuche würden heute in der Tat drei Mal häufiger platzen als früher. Als Laie würde ich dann wohl sagen: Klar ist das Schuld daran, dass mein Teppich nun ruiniert ist. Wissenschaftler sind aber spitzfindiger und würden betonen: Das ist nicht bewiesen, denn auch früher sind schon Schläuche geplatzt, nur eben nicht so oft.
Beim Klima zeigen die Messdaten in der Tat, dass in vielen Gegenden der Welt die mittleren Niederschläge in den letzten Jahrzehnten signifikant zugenommen haben. Das ist eine einfache physikalische Folge der globalen Erwärmung: Je wärmer es ist, desto mehr verdunstet, und dieses Wasser muss auch wieder abregnen. Die Daten zeigen weiter, dass die extremen Niederschläge noch stärker zunehmen als die mittleren Niederschläge. Auch die Versicherungswirtschaft geht von einer starken Zunahme der Extremereignisse aus. Als Laie würde man da sagen: Aha, dann sind die Überschwemmungen also Folge der globalen Erwärmung. Als Wissenschaftler darf ich das aber nicht sagen, da dieser Schluss so nicht zwingend ist.

DIE WELT: Die Zahl extremer Naturereignisse kann nur statistisch erfasst werden. Statistische Aussagen sind aber nie absolut gesichert, sondern besitzen immer eine Fehlertoleranz. Da haben Sie also niemals wissenschaftliche Sicherheit.

Rahmstorf: In der Tat lässt sich der Klimawandel wesentlich zuverlässiger durch die Zunahme der mittleren Temperaturen belegen als durch die Statistik der Extremereignisse. Verständlicherweise interessiert sich die Öffentlichkeit aber mehr für Stürme und Überflutungen als für die mittlere Temperatur der Erde - die macht keine Schlagzeilen. Richtig ist, dass es absolut gesicherte Aussagen nie geben wird und dass Menschen immer auf Grund der vorhandenen, mehr oder weniger unsicheren Informationen ihre Entscheidungen treffen.
Die Unsicherheiten werden aber nur selten so offen und ehrlich diskutiert wie von den Klimaforschern; von Ökonomen höre ich etwa Aussagen wie "Dies wird zweifellos der Konjunktur schaden". Dabei sind alle Aussagen über die Auswirkungen bestimmter Maßnahmen auf die Ökonomie erheblich unsicherer und weniger gut verstanden als die Auswirkungen von CO2 auf das Klima. Die Wirkung von CO2 ist physikalisch verstanden, durch zahlreiche Messungen in Labor und Atmosphäre belegt und durch die Klimageschichte bestätigt.

DIE WELT: Dennoch bezweifeln immer wieder einzelne Wissenschaftler, dass die Zunahme der Erdtemperatur anthropogen, also vom Menschen verursacht ist. Diese weisen etwa auf Korrelationen zur Sonnenaktivität hin und sagen, dass es schon immer Schwankungen zwischen Warm- und Kaltzeiten auf der Erde gegeben hat - auch ohne CO2-Emissionen. Was entgegnen Sie diesen Forschern, die in der Öffentlichkeit immer wieder den Eindruck erwecken, als sei sich die Wissenschaft in dieser Frage doch noch nicht so einig?

Rahmstorf: Der regelmäßige Wechsel zwischen Warmzeiten und Eiszeiten wurde durch Unregelmäßigkeiten in der Erdbahn um die Sonne verursacht, die so genannten Milankovich-Zyklen. An unserem Institut waren wir übrigens weltweit die Ersten, die einen solchen kompletten Zyklus von der letzten Warmzeit, dem Eem, durch die Eiszeit bis heute realistisch in einem Klimamodell nachgerechnet haben - einschließlich des Wachsens und Verschwindens der großen Eismassen auf den Kontinenten. CO2 spielt dabei eine wichtige Rolle als Verstärker des Klimawandels, ist aber in diesem Beispiel nicht der Auslöser. Gerade weil wir vergangene Klimawechsel quantitativ verstehen, sind wir zuversichtlich, auch den Einfluss des Menschen nicht ganz falsch einzuschätzen. Auch Schwankungen in der Sonne beeinflussen das Klima, wenn auch nur um wenige zehntel Grad. Leider kursiert in der Öffentlichkeit immer noch eine wissenschaftlich unhaltbare und überholte Grafik der dänischen Forscher Friis-Christensen und Lassen über die Korrelation der Erdtemperatur mit dem Sonnenfleckenzyklus. Knud Lassen selbst hat diese vor über zwei Jahren durch eine korrigierte Kurve ersetzt, aus der hervorgeht, dass sich das Klima nach der Sonnenaktivität in den abgelaufenen 20 Jahren hätte abkühlen müssen. Die beobachtete Erwärmung führt auch er jetzt auf die vom Menschen emittierten Treibhausgase zurück.

DIE WELT: In jedem Fall herrscht offenbar unter allen Wissenschaftlern Einigkeit darüber, dass die mittlere Temperatur auf der Erde in den kommenden Jahren und Jahrzehnten steigen wird. Dies muss aber nicht bedeuten, dass es überall gleichmäßig wärmer wird. Sie haben berechnet, dass steigende Temperaturen gar zu einem Versiegen des Europa wärmenden Golfstroms führen könnten. Wie wahrscheinlich ist ein solches Ereignis? Wie schnell könnte so etwas passieren? Und was wären die Folgen für Europa?

Rahmstorf: In der Klimageschichte waren starke Klimawechsel häufig auch mit Änderungen in den Atlantikströmungen verbunden. Der Golfstrom als Ganzes wird allerdings nie versiegen, diese Gefahr besteht nur für seine Verlängerung nach Nordeuropa, den Nordatlantikstrom. Fast alle Modelle sagen voraus, dass er sich durch die Erwärmung spürbar abschwächen wird. In einigen Modellen kommt es zu räumlichen Verlagerungen. Rechnungen aus Princeton und an unserem Institut zeigen, dass der Nordatlantikstrom bei pessimistischen Annahmen auch ganz abreißen könnte. Die Folgen wären zunächst für die marinen Ökosysteme und die Fischerei gravierend; doch auch an Land können sich starke regionale Klimaänderungen einstellen, bis hin zu einer regionalen Abkühlung besonders im Nordwesten Europas. Eine Wahrscheinlichkeit oder einen Zeitpunkt dafür kann man bislang nicht angeben - das Risiko wächst, je stärker wir in das Klimasystem eingreifen. Man sollte es vielleicht so sehen: Dieses Risiko kann man weit gehend vermeiden, wenn wir durch rechtzeitigen Klimaschutz die Erwärmung auf unter zwei Grad begrenzen.

DIE WELT: Welche Maßnahmen wären denn erforderlich, um eine Erhöhung der globalen Temperatur auf unter zwei Grad zu begrenzen. Um wie viel Prozent müsste der heutige CO2-Ausstoß denn dann ungefähr begrenzt werden? Und wie schnell kann das Klimasystem darauf reagieren?

Rahmstorf: Dazu muss der weitere Anstieg des CO2-Gehalts der Atmosphäre innerhalb der nächsten Jahrzehnte gestoppt werden. Um dies zu erreichen, müssen die Emissionen weltweit etwa um die Hälfte reduziert werden. In der Tat wirken unsere Handlungen erst um einige Jahrzehnte verzögert - das Klimasystem hat einen langen Brems-weg. Um so mehr Grund, jetzt zu handeln.

DIE WELT: Neben dem CO2 gibt es eine Reihe weiterer klimarelevanter Substanzen in der Atmosphäre, wie etwa Methan, Fluorkohlenwasserstoffe oder Wasserdampf. Welche Anteile am Treibhauseffekt haben diese Substanzen? Müsste man außer beim Kohlendioxid nicht auch noch woanders "sparen"?

Rahmstorf: Wasserdampf ist das wichtigste Treibhausgas, allerdings vom Menschen nicht direkt beeinflussbar, da natürlich die Verdunstung von den riesigen offenen Wasserflächen - über zwei Drittel der Erde sind mit Wasser bedeckt - viel größer als jede denkbare menschliche Emission ist. Das natürliche Wasserdampfgleichgewicht beeinflussen wir nur indirekt über die Temperatur: Heizen die Ozeane sich auf, verdunstet auch mehr - das ist also ein verstärkender Rückkopplungseffekt, der auch in den Klimamodellen berücksichtig wird. Was die anderen Gase angeht, deren Konzentration der Mensch durch seine Emissionen direkt beeinflusst, haben Sie bereits die wichtigsten genannt, dazu kommt noch Stickstoffoxid (N2O). Diese Gase verursachen zusammen 40 Prozent des anthropogenen Treibhauseffekts, 60 Prozent das CO2. Daher sind auch diese anderen Gase im Kyoto-Protokoll berücksichtigt worden.

DIE WELT: Was sind aus Ihrer Sicht die größten noch offenen Fragen in der Klimaforschung?

Rahmstorf: Das vielleicht größte offene Problem ist das Verstehen des Kohlenstoffkreislaufes - wieso ist der CO2-Gehalt der Atmosphäre während der Eiszeiten so stark abgesunken? Vieles deutet auf erhöhte Produktivität der Meeresalgen hin, weil der Ozean in dem trockenen Eiszeitklima durch Staub in der Luft gedüngt wurde. Die "biologische Pumpe" entzog so der Atmosphäre CO2. Doch im Detail knirscht es noch erheblich mit den Erklärungsmodellen - sie sind noch nicht mit allen Daten in Einklang zu bringen. Daran wird auch bei uns gearbeitet. Das Fernziel ist, nur auf Grund der Erdbahnzyklen komplette Eiszeitzyklen zu simulieren mit allem Drum und Dran - dem Aufbau und Abschmelzen der Kontinentaleismassen, dem Auf und Ab des CO2, den Änderungen der Meeresströme.

DIE WELT: Wie optimistisch oder pessimistisch sind Sie im Hinblick auf ein rechtzeitiges Handeln der Menschheit beim Klimaschutz? Sehen Sie den UN-Gipfel in Johannesburg da eher als Misserfolg oder als Erfolg? Welche Rolle kann Deutschland spielen?

Rahmstorf: Ich bin wohl ein unverbesserlicher Optimist - ich glaube, dass die Menschheit lernfähig ist. Meine Hoffnung gründet sich darauf, dass den meisten Menschen viel am Wohlergehen ihrer Kinder und Enkel liegt, insofern denken sie langfristiger als viele Politiker. Gipfel wie Johannesburg sind einerseits natürlich schmerzlich frustrierend, alle Schritte sind mühsam und klein.
Doch den Erfolg kann man wohl erst in 20 Jahren beurteilen - vielleicht wird mit diesen kleinen Schritten doch etwas angestoßen, das eines Tages richtig ins Rollen kommt. Auf die praktische Umsetzung kommt es an. Deutschland kann eine wichtige Rolle als Vorreiter spielen - wer heute mutig vorangeht, zum Beispiel bei Energieeffizienz und erneuerbaren Energien, kann später durch den technologischen Vorsprung sogar profitieren.