Im Treibhaus
von Stefan Rahmstorf, Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung

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Der Sommer 2003 wird als Rekordsommer in die Klimageschichte eingehen. Hierzulande wurde die höchste je gemessene Temperatur sowie die wärmste Nacht verzeichnet. In Frankreich gibt es über 10,000 Hitzetote zu beklagen, in Italien herrschte Dürre und im Schweizer Tiefland lag die mittlere Junitemperatur gleich mehr als 2ºC über dem bisherigen Rekordwert. Bei uns Klimatologen laufen zu solchen Zeiten wieder die Telefone heiß, wie im letzten Jahr bei der Elbeflut. Journalisten wollen wissen: ist das die globale Erwärmung? Die Standardantwort kennt inzwischen jeder: ein klares Jein.

 


Der Mueller-Gletscher auf der Südinsel Neuseelands schmilzt zusammen.

Eine einzelne Hitzewelle oder Flut wird nie direkt ursächlich auf die Erderwärmung zurückgeführt werden können, auch wenn die dazu beigetragen hat. Ein heißer Sommer ist für Wissenschaftler auch kein Beleg für die Erderwärmung. Diesen Beleg liefert nur der Gesamtüberblick über alle Klimadaten. Aufgrund dieser Daten ist die Tatsache der globalen Erwärmung in der Forschung nicht mehr umstritten – auch dass der Mensch für die Erwärmung der letzten Jahrzehnte überwiegend verantwortlich ist, ist inzwischen sehr gut belegt.

Obwohl unter den Klimaforschern weltweit große Einhelligkeit in dieser Einschätzung besteht, kann ein Laie leicht den gegenteiligen Eindruck gewinnen. Der Grund dafür ist vor allem die Lobbytätigkeit von industrienahen Interessengruppen, die durch unermüdliche Öffentlichkeitsarbeit, Präsentation dubioser Studien u.ä. den Eindruck zu erwecken versuchen, der Klimawandel sei stark umstritten.
Vorallem in den USA hat dieser Lobbyismus in den neunziger Jahren professionelle Formen angenommen und erheblichen Einfluss auf die Politik gewonnen. Eine Untersuchung amerikanischer Politologen kommt zu dem Schluss, dass die intensive Lobbytätigkeit von über einem Dutzend industrienaher und bestens finanzierter Organisationen maßgeblich zur Wende in der US-Klimapolitik und zum Ausstieg aus dem Kioto-Protokoll beigetragen hat.

Aktuelle Beispiele sind die massive Revision des Klimakapitels des jährlichen Umweltberichts, die die Umweltbehörde EPA auf Druck des Weißen Hauses vornehmen musste, sowie eine heftige Debatte in einer Klimaanhörung des US-Senats. In beiden Fällen beriefen sich Regierungsvertreter auf eine Studie der Astronomen Willie Soon und Sallie Baliunas, nach der die Erwärmung im 20. Jahrhundert nichts Ungewöhnliches sei.

Unter Klimatologen hat diese Studie Kopfschütteln ausgelöst – nicht wegen des Ergebnisses, sondern wegen einer ganzen Reihe schwerer methodischer Mängel.

Laut New York Times stehen Soon und Baliunas auf der Gehaltsliste des George C. Marshall Institute – einer industrienahen Denkfabrik, die seit Jahren Lobbyarbeit gegen Klimaschutz betreibt. Ihre Studie wurde vom American Petroleum Institute finanziert. Die Strategie ähnelt der der Tabakindustrie, die über viele Jahre immer wieder Wissenschaftler und Studien präsentierte, die die Unschädlichkeit des Rauchens nachweisen sollten.

Auch in Deutschland sind die so genannten „Klimaskeptiker“ zunehmend aktiv, vor allem der Bundesverband Braunkohle zusammen mit der Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe (BGR), einer nachgeordneten Behörde des Wirtschaftsministeriums. Der Braunkohleverband publizierte dieses Jahr eine 20-seitige Klimabeilage zu der von Journalisten viel gelesenen Zeitschrift Journalist – eine Erwiderung durch eine Gruppe von unabhängigen Klimatologen wurde dagegen abgelehnt. Auch die BGR gibt ähnliche Broschüren und ein Buch (Titel: „Klimafakten“) heraus. Die Argumente lesen sich dabei weitgehend wie von den Internetseiten der US-Lobbyorganisationen übernommen.

Mangels echter Klimaforscher, die die Treibhauserwärmung bezweifeln, werden von „Klimaskeptikern“ sogar ganze Forschungsinstitute als Potemkin’sche Dörfer in die Medienlandschaft gesetzt. So berichtete der Journalist Dirk Maxeiner in der Welt, das „Schröter-Institut zur Erforschung von Zyklen der Sonnenaktivität“ habe festgestellt, das vom Menschen erzeugte Kohlendioxid spiele für das Klima „eine sehr viel geringere Rolle als bisher angenommen“. Im Internet war das angebliche Institut nicht zu finden. Nachforschungen ergaben, dass sich hinter dem Institutsnamen der seit langem in der Klimaskeptiker-Szene aktive Jurist Theodor Landscheidt verbirgt. Ein Laie kann eine solche Zeitungsmeldung kaum von einer seriösen Wissenschaftsmeldung unterscheiden; von den Medienmachern sollte man aber einen kritischeren und vorsichtigeren Umgang mit dem Thema erwarten.

Als Wissenschaftler kann man nur die sachlichen Argumente immer wieder nüchtern in den Vordergrund rücken. Fast alle Klimatologen sind überzeugt, dass der überwiegende Teil der aktuellen Erwärmung durch den Anstieg von Kohlendioxid und einiger anderer Treibhausgase in der Atmosphäre verursacht wird – also vom Menschen. Dafür gibt es vor allem zwei Gründe.

Der erste Grund ist die Tatsache, dass der Kohlendioxidgehalt der Atmosphäre seit Beginn der Industrialisierung um ein Drittel angestiegen ist. Ursache für diesen Anstieg ist hauptsächlich die Verbrennung fossiler Brennstoffe (Kohle, Erdöl, Erdgas) – dies ist zweifelsfrei belegt. Der Mensch hat damit den Kohlenstoffkreislauf kurzgeschlossen, und überführt große Mengen Kohlenstoff von der Erdkruste in die Atmosphäre – pro Jahr etwa so viel, wie in einer Million Jahre der Erdgeschichte abgelagert wurde.

Der zweite Grund ist die seit über hundert Jahren bekannte, im Labor leicht nachmessbare Eigenschaft von Kohlendioxid, Wärmestrahlung zu absorbieren. Dadurch wird das Strahlungsgleichgewicht der Erde verändert – der so genannte Treibhauseffekt. Dieser Treibhauseffekt ist seit Beginn der Erdgeschichte wirksam, ohne ihn wäre die Erde völlig vereist. Der Mensch hat den Treibhauseffekt also nicht etwa erschaffen, er verändert lediglich seine Stärke. Der vom Menschen verursachte Anstieg des Kohlendioxid (und einiger anderer Gase mit ähnlicher Wirkung, etwa Methan) führt derzeit zu einer zusätzlichen Strahlung am Boden von 2,4 Watt pro Quadratmeter.

Diese Fakten werden von keinem Wissenschaftler in Frage gestellt. Diskutiert wird lediglich die Frage, um wie viel sich das Klima durch die 2,4 Watt zusätzlicher Strahlung erwärmt. Dies wäre eine simple Rechenaufgabe für Physikstudenten, wenn es nicht Rückkopplungen im Klimasystem mit zu bedenken gäbe – sowohl positive (also verstärkende) als auch negative (also abschwächende). Ein Verstärker ist etwa der Eisfeedback: wird es wärmer, gibt es weniger Eis und Schnee auf der Erde, wodurch auch weniger Sonnenstrahlung zurückgespiegelt wird. Dadurch wird die ursprüngliche Erwärmung etwas verstärkt. Ein Abschwächer ist der Wolkenfeedback: wird es wärmer, können mehr Wolken entstehen, die der Erwärmung teilweise entgegenwirken.

Die Rückkopplungen müssen also abgeschätzt werden, um die vom Menschen verursachte Erwärmung berechnen zu können. Dabei tappt man zum Glück nicht im Dunklen, denn schon am heutigen Klima lassen sich die meisten Aspekte der Rückkopplungen beobachten und messen: das heutige Klima durchläuft ja bereits starke Temperaturvariationen, etwa die Jahreszeiten. Kalkuliert man alles mit ein, ergibt sich als beste heutige Abschätzung für 2,4 Watt Strahlung eine Erwärmung um 1,5ºC, allerdings erst im Gleichgewicht (nach langer Zeit). Nun muss man noch die Wärmespeicherfähigkeit der Ozeane berücksichtigen, durch die das Klima nur langsam und zeitverzögert reagiert: bis heute sollte demnach erst die Hälfte bis zwei Drittel der Gleichgewichtserwärmung realisiert sein.

Das bedeutet: nach unserem Verständnis der Physik sollte der Mensch durch seine Treibhausgase bislang eine Erwärmung von 0,75-1ºC verursacht haben. Dieser Wert passt gut zur beobachteten Erwärmung im 20. Jh. (auch wenn die tatsächliche Entwicklung natürlich nicht ausschließlich durch die Treibhausgase bestimmt wird, sondern sich noch einige weitere, kleinere Effekte überlagern). Dies ist der Kern der Besorgnis über den Treibhauseffekt.

Die Unsicherheit in dieser Rechnung beträgt etwa einen Faktor zwei, weil manche Rückkopplungen nur ungenau bestimmt werden können. Die Erwärmung könnte also halb oder auch doppelt so groß wie die beste Abschätzung ausfallen. An dem grundsätzlichen Problem ändert diese Unsicherheit wenig: auch wenn der optimistischste Fall eintritt, würde die Erwärmung ohne Gegenmaßnahmen in diesem Jahrhundert das Klima weit über das Maß der natürlichen Schwankungen der letzten Jahrtausende hinaus aufheizen, mit allen damit verbundenen Risiken.

Um Entwarnung geben zu können, müsste die Wirkung der Treibhausgase um erheblich mehr als nur den Faktor zwei überschätzt worden sein. Es müssten also bislang unbekannte, aber sehr stark abschwächende Rückkopplungen im Klimasystem entdeckt werden. Die Chancen dafür stehen nicht gut. Selbst die Gegner von Klimaschutzmaßnahmen haben bislang keine Rückkopplung dieser Art auch nur halbwegs überzeugend aufzeigen können. Dazu kommt, dass die Klimageschichte gegen eine solche starke negative Rückkopplung spricht. Das Klimasystem hat in der Vergangenheit auf recht subtile Strahlungsänderungen bekannter Stärke (wie die Milankovich-Zyklen) mit heftigen Ausschlägen reagiert (den Eiszeiten). Diese lassen sich nur verstehen, wenn die Rückkopplungen im Klimasystem insgesamt verstärkend wirken. In der Tat erhält man mit den heute bekannten Rückkopplungen in Simulationsrechnungen ein realistisches Eiszeitklima; auch andere Klimawechsel früherer Zeiten lassen sich mit heutigen Modellen gut nachvollziehen.

Das von Kritikern der Treibhaustheorie gerne vorgebrachte Argument „das Klima hat sich schon immer geändert“ ist also leider kein Grund zur Entwarnung, im Gegenteil. Es belegt die große Empfindlichkeit des Klimasystems.

Glossar Klimapolitik

Die Kohlendioxidkonzentration in der Atmosphäre ist durch menschliche Aktivitäten in den letzten 150 Jahren um ein Drittel angestiegen (auf 370 ppm) – Eiskerne aus der Antarktis belegen, dass sie seit mindestens 400 000 Jahren nicht annähernd so hoch war wie heute.

Kohlendioxid wirkt als Treibhausgas, indem es die von der Erdoberfläche kommende Wärmestrahlung absorbiert und teilweise wieder zurückstrahlt. Dadurch führt eine Erhöhung der CO2-Konzentration zu einer Erwärmung der Oberfläche. Dieser Effekt wurde erstmals im Jahr 1896 von Svante Arrhenius berechnet.

Die mittlere Temperatur auf der Erde hat sich im 20. Jh. um 0,6-0,8ºC erhöht. Dies ist sehr wahrscheinlich der rascheste und stärkste Temperaturanstieg des abgelaufenen Jahrtausends. Besonders steil zeigt die Fieberkurve des Planeten seit 1970 nach oben. Die global wärmsten Jahre seit Beginn der Messungen waren 1998, 2002 und 2001.

Schwankungen der Strahlungsleistung der Sonne haben in der Vergangenheit zu Klimaschwankungen um einige Zehntel Grad geführt – so war es zur Zeit des Maunder-Minimums der Sonnenaktivität um das Jahr 1700 besonders kalt. Für die aktuelle Erwärmung kann die Sonne aber nicht verantwortlich sein, da seit 1940 die Sonnenaktivität nicht zugenommen hat. Eine aktuelle Stellungnahme zur Rolle der Sonne findet sich unter www.chemie-online.com/news_archiv.php?id=7059.

Bis vor zehntausend Jahren, während der letzten großen Eiszeit, reichten gigantische Gletscher von Skandinavien bis nach Berlin. Die regelmäßig wiederkehrenden Eiszeiten werden durch Schwankungen in der Erdbahn um die Sonne hervorgerufen, die so genannten Milankovich-Zyklen. Mit der derzeitigen Erwärmung haben diese aber nichts zu tun – sie würden zu einer geringfügigen Abkühlung tendieren.

Das Intergovernmental Panel on Climate Change (IPCC) erstellt alle 5-7 Jahre Berichte zur Klimaentwicklung, an denen die meisten aktiven Klimaforscher mitarbeiten. Sie sind zu finden unter www.ipcc.ch.

Das Kioto-Protokoll ist ein internationales Klimaschutzabkommen, das bislang von 105 Staaten ratifiziert worden ist. Damit es in Kraft tritt, fehlt nur noch die Ratifizierung durch Russland. Die nächste Weltklimakonferenz findet vom 29. September bis 3. Oktober 2003 in Moskau statt.

Im US-Senat fand am 29. Juli eine Anhörung statt, zu der die Republikaner zwei Klimaskeptiker geladen hatten. Die Demokraten hielten mit dem renommierten Klimatologen Mike Mann dagegen, der u.a. von Hillary Clinton befragt wurde. Die Statements der Teilnehmer dieser Anhörung findet sich unter epw.senate.gov/stm1_108.htm#07-29-03, eine Videoaufzeichnung unter www.epw.senate.gov/epw072903.ram.

Ist die Sonne am Klimawandel schuld? War es im Mittelalter schon mal wärmer als heute? Ist die Bedeutung von Wasserdampf als Treibhausgas unterschätzt worden? Auf einer Internetseite beim Umweltbundesamt antworten Klimaforscher auf die gängigen Argumente von Autoren, die eine Klimagefahr bestreiten: www.umweltbundesamt.de/klimaschutz/faq.htm.

Weitere Informationen zum Klimawandel, insbesondere zur Rolle der Meeresströmungen, findet man auf der home page des Autors: www.pik-potsdam.de/~stefan.

Dieser Artikel erschien in leicht gekürzter Form in der tageszeitung vom 13. September 2003