Eiszeit im Computer
Ein Durchbruch in der Klimaforschung ist einem Team am Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung gelungen. Weltweit erstmals konnte mit einem Klimamodell eine realistische Computersimulation des Klimas der letzten Eiszeit durchgeführt werden. Die Forscher nutzten dazu ein in Potsdam entwickeltes neues Modell. Das damit berechnete Klima stimmt gut mit dem Bild der Eiszeit überein, das in den letzten Jahrzehnten aus verschiedenen Datenquellen gewonnen wurde. Damit konnte die Richtigkeit eines Klimamodells für ein Klima bestätigt werden, das erheblich vom heutigen abweicht. "Dies ist ein entscheidender Test für die Glaubwürdigkeit von Klimamodellen, auf die sich auch die Klimaabschätzungen für das nächste Jahrhundert stützen", bewertet der Leiter der Forschergruppe, Prof. Martin Claussen, dieses Ergebnis. Die Eiszeitsimulation wurde in der jüngsten Ausgabe des britischen Wissenschaftsjournals Nature (Vol. 391, S. 350-356) veröffentlicht.
Der Höhepunkt der letzten Eiszeit liegt rund 21.000
Jahre zurück. Damals lagen kilometerdicke Eismassen über Nordamerika
und Nordeuropa. Die Eisdecke reichte bis nach Berlin hinunter; südlich
davon erstreckte sich bis nach Frankreich hinein eine trockene, polare
Steppe. Grund für die periodisch wiederkehrenden Eiszeiten sind kleine
Schwankungen in der Erdbahn und damit Änderungen in der Sonneneinstrahlung.
Wie allerdings die allmählichen und subtilen Veränderungen in
der Verteilung der Sonnenwärme zu solch drastischen und rasch einsetzenden
Vereisungsperioden führen konnten, ist ein nach wie vor ungelöstes
Rätsel der Natur. Ein wichtiger Schritt zur Entschlüsselung ist
jetzt dem Potsdamer Forscherteam gelungen. Mit ihrem Modell konnten sie
zeigen, daß Änderungen der Meeresströme wesentlich zur
Abkühlung des Klimas in der Eiszeit insbesondere in Europa beitrugen.
Die gesamte Nordhalbkugel war ihren Rechnungen zufolge im Mittel um etwa
8,7 Grad kälter als heute, wobei eine mittlere Abkühlung um drei
Grad allein durch die Verlagerung der Nordatlantikströme verursacht
wurde. Einige Gebiete kühlten aufgrund der veränderten Strömung
sogar um mehr als zwanzig Grad ab. Diese Verlagerung vollzog sich im Modell
genau so, wie es bereits Geologen aus Sedimentbohrkernen für die Eiszeit
rekonstruiert haben. "Die große Bedeutung der Meeresströme für
das Klima wurde eindrucksvoll bestätigt", sagt Stefan Rahmstorf, federführender
Autor der Veröffentlichung. Viele Klimaforscher befürchten, daß
es im kommenden Jahrhundert durch die menschlichen Eingriffe in das Klimasystem
wieder zur weiträumigen Verlagerung von Meereströmen kommen könnte,
mit Auswirkungen insbesondere auf Nordeuropa.
Die Grafik zeigt die Abkühlung der bodennahen
Luftschicht auf dem Höhepunkt der letzten Eiszeit relativ zu den heutigen
Temperaturen. In einigen Gebieten der Nordhalbkugel war es damals bis zu
dreißig Grad kälter als heute, so die Berechnungen der Potsdamer
Wissenschaftler.
Reproduktion der Grafik ist gegen Belegexemplar möglich. Um eine Druckvorlage für diese Grafik zu erhalten, wenden Sie sich bitte an Andrey Ganopolski, e-mail: ganopolski@pik-potsdam.de |
Das besondere an dem Modell ist, daß es die Strömungen in Ozean und Atmosphäre gemeinsam berechnet, und nicht - wie bislang - entweder nur die atmosphärische oder nur die ozeanische Zirkulation. Erst dadurch kann sich ein Klimagleichgewicht wirklich frei einstellen. Zwar gab es auch zuvor bereits gekoppelte Ozean-Atmosphären-Modelle, mit denen im Prinzip eine solche Eiszeitsimulation möglich wäre. Allerdings benötigen diese Modelle einen so großen Rechenaufwand, daß man selbst mit den schnellsten Supercomputern nur einige hundert Jahre simulieren kann - wegen der Trägheit der Ozeane zu wenig, um ein so stark vom heutigen Klima verschiedenes Klimagleichgewicht zu erreichen. In dem Potsdamer Modell wird nicht mehr das Wetter, also jedes einzelne Hoch- oder Tiefdruckgebiet berechnet, sondern gleich die mittleren Klimaeigenschaften, zum Beispiel die mittlere Niederschlagsmenge eines Monats. Damit sind nun problemlos Simulationen von vielen tausend Jahren möglich.
Zunächst nutzten die Forscher ihr neues Modell, um
den heutigen Klimazustand (allerdings ohne die Eingriffe des Menschen)
zu simulieren. Dies gelang mit guter Genauigkeit, ohne daß zu den
in anderen Modellen erforderlichen Korrekturen bei der Kopplung von Atmosphäre
und Ozean gegriffen werden mußte. Damit war der Weg frei für
die Eiszeitsimulation: hier schrieben die Forscher die vor 21,000 Jahren
herrschende Sonneneinstrahlung vor, setzten die bekannten Eismassen auf
die Kontinente und erniedrigten den Kohlendioxidgehalt der Luft auf den
Eiszeitwert (der aus alten Luftblasen tief im Grönlandeis bekannt
ist). Mit diesen Bedingungen ließen sie das Modell 5000 Jahre simulieren,
bis sich ein neues Klimagleichgewicht eingestellt hatte. Dabei ergab die
Simulation aus Potsdam, daß die bodennahe Atmosphäre im globalen,
langjährigen Mittel auf dem Höhepunkt der Eiszeit um 6.2°C
kälter war als im modernen Klima. Die Nordhalbkugel war dabei etwa
8.7°C kälter als heute, während die Südhalbkugel sich
nur um 3.6°C abkühlte. Die Ergebnisse stimmen gut mit rekonstruierten
Temperaturdaten überein, die man zum Beispiel aus Bohrkernen des Grönlandeises,
aus der Verteilung von Pollen von Bäumen und Gräsern oder aus
den Jahresringen von tropischen Korallen gewonnen hat.
Details der Veröffentlichung:
Ganopolski, A., S. Rahmstorf, V. Petoukhov and M. Claussen: Simulation of modern and glacial climates with a coupled global climate model. Nature, Volume 391, pages 350-356, 22. Januar 1998.Die Autoren:
Andrey Ganopolski ist Spezialist für die Computersimulation der Ozeane und des Klimasystems. Bevor er im August 1994 zum PIK kam, arbeitete er am International Institute for Applied Systems Analysis (IIASA, Wien) und am Computerzentrum der Russischen Akademie der Wissenschaften in Moskau. Er ist der hauptsächliche Entwickler des neuen CLIMBER Klimamodells und führte die Eiszeitsimulation durch.Stefan Rahmstorf ist Experte für die Rolle der Ozeane bei Klimaänderungen. Bevor er im März 1996 zum PIK kam, hat er am Institut für Meereskunde in Kiel und am New Zealand Oceanographic Institute gearbeitet. Die Planung und Durchführung der Eiszeitsimulation geht auf seine Initiative zurück; an der Auswertung war er maßgeblich beteiligt.
Vladimir Petukhov ist Experte für die Computersimulation der Atmosphäre und des Klimas. Er ist Gastprofessor am PIK und hauptberuflich am Obukhov Institut für Atmosphärische Physik in Moskau angestellt. Von 1992-1994 arbeitete er am IIASA. Er war maßgeblich bei der Entwicklung des Atmosphärenmoduls von CLIMBER beteiligt und trug zur Analyse der Ergebnisse der Eiszeitsimulation bei.
Martin Claussen ist Professor für theoretische Klimatologie an der Freien Universität Berlin, Leiter der Abteilung Klimaforschung am PIK und Leiter der CLIMBER Gruppe. Hauptsächlich widmet er sich der Modellierung des Klimas sowie der Wechselwirkung zwischen Biosphäre und Klima. Er hat an der Auswertung der Eiszeitsimulation mitgewirkt.
Weitere Informationen:
Dr.Stefan Rahmstorf
Tel. 0331-2781-160 E-mail: Rahmstorf@pik-potsdam.de |
Prof. Dr. Martin Claussen
Tel. 0331-288-2522 E-mail: Claussen@pik-potsdam.de |