Der Anstieg des Meeresspiegels
von Stefan Rahmstorf

Erschienen im Buch: Der UN-Weltklimareport (2007), Verlag Kiepenheuer & Witsch, 440 Seiten, herausgegeben von Michael Müller, Ursula Fuentes und Harald Kohl

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Der Meeresspiegel steigt, er steigt schneller als erwartet, und der Anstieg hat sich beschleunigt. Dies sind drei der Kernaussagen des neuen IPCC-Berichts.

Seit 1870 ist der globale Meeresspiegel um rund 20 cm angestiegen – dies zeigen die weltweiten Pegelmessungen an den Küsten (Abb. 1). Dabei kann man mit hoher Konfidenz sagen, dass die Anstiegsrate sich über diesen Zeitraum erhöht hat. Satellitenmessungen zeigen für den Zeitraum 1993-2003 einen Anstieg um 3,1 mm/Jahr – berücksichtigt man die neuesten Daten bis 2006, sogar um 3,3 mm/Jahr (Rahmstorf et al., 2007).

Abb. 1. Der gemessene Anstieg des Meeresspiegels. Gezeigt sind Pegeldaten (dünne blaue Linie: jährliche Werte, dicke blaue Linie: Trendlinie) sowie für 1993-2006 der Trend der Satellitendaten (rot gestrichelt).

Zudem zeigen geologische Daten und historische Quellen, dass in den Jahrtausenden zuvor der Meeresspiegel nahezu stabil war. Für das Mittelmeer ist beispielsweise archäologisch belegt, dass sich der Meeresspiegel in den letzten 2000 Jahren bestenfalls um +- 25 cm verändert hat. Eine Anstiegsrate wie in den letzten hundert Jahren würde dagegen über 2000 Jahre einen Anstieg um nahezu vier Meter bedeuten.

Der jetzt beobachtete Meeresspiegelanstieg ist also mit Sicherheit ein modernes Phänomen, das zwischen dem späten 19. und frühen 20. Jahrhundert eingesetzt hat. Eine neue Studie (Rahmstorf 2007) zeigt zudem, dass die Anstiegsrate des Meeresspiegels eng mit der globalen Temperatur korreliert. Der beobachtete Meeresspiegelanstieg ist also eine Folge der vom Menschen verursachten globalen Erwärmung. Der erdgeschichtliche Beitrag zur aktuellen Meeresspiegeländerung, der vom Ende der letzten Eiszeit vor rund zehntausend Jahren herrührt, ist übrigens ein leichtes Absinken des globalen Meeresspiegels um etwa 0,3 mm pro Jahr. Die Landmassen im Norden waren durch die damaligen riesigen Eispanzer in die weiche Erdkruste hineingedrückt und heben sich jetzt, dabei sinken Teile des umliegenden Meeresbodens ab (u.a. die deutschen Nord- und Ostseeküsten).

Ein Anstieg des Meeresspiegels ist eine physikalisch zu erwartende Folge einer Erwärmung, und zwar aus zwei Gründen. Erstens nimmt das Volumen des Meerwassers durch seine Erwärmung zu, da Wasser sich bei Erwärmung ausdehnt. Und zweitens nimmt die Wassermenge im Weltmeer insgesamt zu, vorallem durch das Abschmelzen der Eismassen auf Land. Für den Zeitraum 1961-2003 zeigen Abschätzungen aus Daten, dass etwa ein Viertel des Anstiegs auf die thermische Ausdehnung des Wassers zurückzuführen ist, für 1993-2003 etwa die Hälfte (diese beiden Zeitspannen wurden im IPCC-Bericht für detaillierte Analysen ausgewählt).

Modellsimulationen mit Klima- und Eismodellen können diese Effekte berechnen, allerdings noch nicht mit befriedigender Genauigkeit. Für 1961-2003 ergeben die IPCC-Modelle im Mittel eine Anstiegsrate um 1,2 mm/Jahr, gemessen wurden aber 1,8 mm/Jahr. Die Modelle unterschätzen also den tatsächlichen Meeresspiegelanstieg. Ähnliches galt übrigens bereits für die Modelle im letzten IPCC-Bericht: im Zeitraum 1990-2006 stieg der Meeresspiegel etwa 50% rascher als in den damals publizierten mittleren Szenarien (Rahmstorf et al. 2007).

Wegen dieser Modellunsicherheiten insbesondere über den Beitrag der abschmelzenden Eismassen sind Prognosen für die Zukunft noch ungenau. Der IPCC-Bericht gibt – je nach Emissionsszenario – einen Anstieg um 18 - 59 cm bis zum Jahr 2095 an. Allerdings ist dabei die Unsicherheit über mögliche dynamische Veränderungen der Kontinentaleismassen nicht enthalten, da eine seriöse obere Grenze dafür nicht abgeschätzt werden kann. Dazu gehört z.B. ein beschleunigtes Abfliessen der großen Auslassgletscher Grönlands ins Meer. Laut Bericht könnten durch derartige Prozesse noch 10 cm, 20 cm oder mehr zum Meeresspiegelanstieg hinzukommen. Unsere Unfähigkeit, diese Prozesse im Kontinentaleis zu berechnen, gehört zu den wichtigsten Wissenslücken, die durch weitere Forschung geschlossen werden müssen, wenn man die Unsicherheit über die Auswirkungen der Erderwärmung verringern will.

Die oben genannte Spanne von 18-59 cm enthält kaum einen Beitrag der Kontinentaleismassen, da der IPCC-Bericht davon ausgeht, dass ein Eiszuwachs in der Antarktis den Eisverlust in Grönland weitgehend ausgleichen wird. Tatsächlich deuten aber Messungen mit dem GRACE-Satelliten darauf hin, dass auch die Antarktis insgesamt in den letzten Jahren an Eis verloren hat – dies sind aber noch vorläufige Daten, da dieser Satellit erst seit wenigen Jahren im Einsatz ist.

Die oben genannte Spanne enthält nicht die volle Unsicherheit über die künftige Temperaturentwicklung: es wurden dabei nur Szenarien mit einer globalen Erwärmung bis zu 5,2 ºC berücksichtigt, obwohl die Unsicherheit in den Temperaturszenarien bis 6,4 ºC angegeben wird. Zudem wurde nicht berücksichtigt, dass die verwendeten Modelle bereits den vergangenen Meeresspiegelanstieg deutlich unterschätzen. Insgesamt ist die Unsicherheit im Meeresspiegelanstieg daher größer, als es die Spanne 18-59 cm suggeriert. Bis zum Jahr 2100 ist ein Anstieg bis zu einem Meter nicht auszuchließen, im schlimmsten Fall vielleicht sogar noch darüber hinaus.

Der IPCC-Bericht analysiert auch die Meeresspiegeländerungen in der Erdgeschichte. Auf dem Höhepunkt der letzten Eiszeit, vor 20.000 Jahren, war die globale Temperatur 4-7 ºC kälter als derzeit, und der Meeresspiegel lag 120 Meter niedriger. Vor der letzten Eiszeit gab es eine Warmzeit, das Eem, dessen Höhepunkt 125.000 Jahre zurück liegt. Damals waren die Temperaturen in den nördlichen Polargebieten 3-5 ºC wärmer als heute (wegen der veränderten Erdumlaufbahn), im globalen Mittel aber wahrscheinlich kaum höher als jetzt. Der Meeresspiegel lag dabei 4-6 Meter höher. Dies sind nur zwei Beispiele dafür, dass Temperaturänderungen in der Erdgeschichte in der Regel mit sehr großen

Meeresspiegelveränderungen verbunden waren. Verantwortlich dafür ist das Wachsen und Schwinden der Kontinentaleismassen. Auf Dauer – also über mehrere Jahrhunderte – müssen wir bereits bei mittleren Erwärmungsszenarien mit mehreren Metern Meeresspiegelanstieg rechnen. Der Anstieg bis zum Jahr 2100 dürfte erst der Anfang einer viel längerfristigen Entwicklung sein, deren Ausmaß wir in den kommenden Jahrzehnten weitgehend festlegen werden.

Der Meeresspiegelanstieg wird an verschiedenen Küsten unterschiedlich ausfallen. Erstens steigt der absolute Meeresspiegel nicht überall gleich, weil regional unterschiedliche Erwärmung, eng verknüpft mit Veränderungen der Meeresströmungen, die Neigung der Meeresoberfläche beeinflusst. Zweitens hebt oder senkt sich auch das Land an manchen Küsten. An den deutschen Küsten werden beide Effekte dazu beitragen, dass der Meeresspiegel mehr als im globalen Mittel ansteigt. Die Landabsenkung als Nachwirkung der letzten Eiszeit wird bis 2100 an unseren Küsten 10-20 cm betragen. Außerdem wird laut IPCC-Bericht im Mittel mit einem zusätzlichen Anstieg von 10-15 cm gerechnet, der mit der erwarteten Abschwächung des Nordatlantikstroms zusammenhängt, die in fast allen Modellen auftritt. Sollte der Nordatlantikstrom gar ganz abreißen (ein Risiko, dem der Bericht bis 2100 eine Wahrscheinlichkeit von bis zu 10% zumisst), dann wäre mit bis zu einem Meter zusätzlichen Anstieg zu rechnen. Man kann also leider nicht ausschließen, dass an unseren Küsten der Meeresspiegelanstieg bis zum Jahr 2100 auch um die zwei Meter betragen könnte.

Literatur

Rahmstorf, S., 2007: A semi-empirical approach to projecting future sea-level rise. Science 315, 368-370.
Rahmstorf, S., et al. 2007: Recent Climate Observations Compared to Projections. Science 316, 709.