Calov 1994

Das thermomechanische Verhalten des Grönländischen Eisschildes unter der Wirkung verschiedener Klimaszenarien - Antworten eines theoretisch-numerischen Modells

von R. Calov

Mit einem dreidimensionalen Inlandeismodell (Herterich, 1988; Calov, 1989) unter Benutzung der Flacheisnäherung (Hutter, 1983; Morland, 1984) werden Simulationsrechnungen zum heutigen Grönländischen Inlandeis vorgenommen. Das Eis wird als sehr viskoses Fluid durch das Glensche Fließgesetz mit einer Eisfluß-Temperaturkopplung gemäß Paterson (1981) beschrieben. Der Eisboden (Lithosphäre) wird als eine 4 km dicke wärmeleitende starre Felsschicht behandelt, wobei an der Grenzschicht zwischen Inlandeis und Fels eine thermische Übergangsbedingung durch die Stetigkeit der Temperatur sowie der Bilanz der Wärmeflüsse auf der Fels- und Eisseite zusammen mit der Reibungswärme auf der Fels-Eis-Grenzschicht formuliert wird. Die Evolution der Eisdicke ergibt sich aus der Divergenz der Eisflüsse (Massenfluß) sowie der Schneebilanz an der Eisoberfläche. Der Massenfluß wird im Modell aus dem voll dreidimensional dargestellten Geschwindigkeitsfeld durch vertikale Integration bestimmt. Die Schneebilanz b wird als proportional der aktüllen jahreszeitlichen Temperatur angenommen (Braithwaite, 1989), wodurch sich diese durch das Jahresmittel der Atmosphärentemperatur, der Amplitude des Jahresgangs der Atmosphärentemperatur sowie bei der einfachen Version des Schmelzmodells einer Proportionalitätskonstanten β parameterisieren läßt. Es wird aber auch ein verbessertes Schmelzmodell angewendet, wobei die Schneedecke mit einem - wegen der hohen Albedo von Schnee - verminderten Schmelzparameter β1 geschmolzen wird, und dann das durch gefrorenes Sickerwasser bis zu einer Sättigung Pmax entstandene Überlagerungseis mit einem Schmelzparamter β2 noch einmal abgetaut wird. Der Schneefall wird aus Daten von Ohmura und Reeh (1991) parameterisiert. Da die Eisgeschwindigkeit von der homologen Temperatur abhängt, wird die Temperatur im Eisinneren aus den diffusiven und advektiven Wärmeflüssen und der Deformationswärme im Eis bestimmt. Als thermische Randwerte gehen an der Unterseite der Felsschicht der geothermische Wärmefluß als Neumannsche Randbedingung und an der Eisoberfläche als Dirichletsche Randbedingung die Atmosphärentemperatur ein. Die Atmosphärentemperatur wird aus Daten von Ohmura (1987) parameterisiert. Die Modellgleichung für das Inlandeis und die Felsschicht werden zusammen mit der thermischen Übergangsbedingung durch ein simultanes explizites Verfahren der finiten Differenzen gelöst.

Die Reaktion des Systems Lithosphäre-Inlandeis auf die eiszeitlichen Klimazyklen, gewonnen aus den Vostokdaten (Barnola et al., 1987), wird durch verschiedene Szenarien untersucht, wobei die Eisdicke als zeitlich konstant angenommen wird. Das Modell wird mit einer oberen bzw. unteren Schranke der Vostoktemperaturkurve angetrieben. Es zeigt sich, daß die Eiszeitzyklen zwar nötig sind, um die heutige Temperaturverteilung Grönlands realistisch zu rechnen; jedoch braucht nicht exakt bekannt zu sein, wie der Verlauf der Klimakurve vor etwa 20000 Jahren und noch weiter in der Vergangenheit im Einzelnen gewesen ist, es braucht nur eine gewisse Fehlergrenze eingehalten zu werden. Die Temperaturverteilungen des Grönländischen Inlandeises während der Kaltzeiten dieser beiden Szenarien mit der oberen und unteren Schranke der Vostokklimakurve unterscheiden sich jedoch signifikant. Des weiteren wurde aufgezeigt, wie wichtig die Berücksichtung der Felsschicht unter dem Eis aufgrund ihrer thermischen Trägheit für den thermomechanischen Zustand des Grönländischen Inlandeises ist. Zum Beispiel ist die heutige Bodentemperatur mit Berücksichtigung der Felsschicht, wobei der geothermische Wärmefluß an der Unterseite der Lithosphärenschicht vorgegeben und die Übergangsbedingung gerechnet wird, im allgemeinen kälter als ohne deren Ankopplung, wobei der geothermische Wärmefluß direkt an der Eisunterseite vorgegeben wird. In einem weiteren Modellexperiment wird der Einfluß der Deformationseigenschaft des Eises untersucht.

Das Gleichgewicht der Eisdickenverteilung wird unter verschiedenen Modellierungsbedingungen bestimmt, indem das Modell solange zeitlich integriert wird, bis sich eine annäherend konstante Eisdicke einstellt. Bei der Variation der Schmelzparameter des einfachen Schmelzmodells zeigte sich, daß das Modell auf Änderungen der Amplitude des Jahresganges der Atmosphärentemperatur am sensitivsten reagiert, und daß diese von der geographischen Breite abhängen muß, um eine Übereinstimmung der Gleichgewichtsvereisungsgrenzen mit den (heutigen) Vereisungsgrenzen aus Daten zu erreichen. Um auch die Gleichgewichtsdicke in Einklang mit der gemessenen Eisdicke zu modellieren, wird ein Gesetz für das basale Gleiten eingeführt. Ein noch freier Gleitparameter wird durch eine Reihe von Modellrechnungen festgesetzt. Sowohl die Eisdicke, als auch die Vereisungsgrenzen hängen sehr stark von der Größe dieses Gleitparameters ab. Mit dem Gleitgesetz zusammen mit dem einfachen Schmelzmodell lassen sich aber nicht zugleich die Eisdicke und die Position der Vereisungsgrenzen in Übereinstimmung mit der Beobachtung bringen. Daher wird für die weiteren Rechnungen das verbesserte Schmelzmodell benutzt, wobei zusammen mit dem entsprechend festgesetzten Gleitparameter die heutige Eisdickenverteilung schon annäherend modelliert werden kann. Eine weitere Rechnung mit Berücksichtigung der basalen Reibungswärme hat einen insgesamt wärmeren Eisschild mit verminderter Eisdicke zum Ergebnis. Dabei wird der Norddom Grönlands korrekt, aber der Süddom zu niedrig modelliert. Die Einschränkung des basalen Gleitens auf die temperierten Bodenbereiche führt auf einen zu hohen Norddom und einen zu weit nach Westen verschobenen Süddom. Der letztere Effekt wird anhand des Musters der temperierten basalen Bereiche erklärt. Die Struktur der Eisoberflächenhöhe, nicht aber die absolute Höhe selbst, stimmen bei der Rechnung mit eingeschränktem Gleiten besser mit der Beobachtung überein als bei den anderen Rechnungen.

Dissertation, Institut für Mechanik, Technische Hochschule Darmstadt, 171pp (1994)

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