Sürings und Bersons Hochfahrt am 31. Juli 1901

hochfahrt.jpg hochfahrt_photos.jpg

Auszug aus:
100 Jahre Stratosphärenforschung in Berlin
von
Karin Labitzke und Barbara Naujokat
Berliner Wetterkarte 79/1, SO 30/01


Heute vor 100 Jahren erhob sich um 11 Uhr der mit 5400 cbm Wasserstoff gefüllte Ballon "Preußen" vom Tempelhofer Feld aus in die Luft. An Bord dieses Ballons von ungewöhnlicher Größe befanden sich die erfahrensten wissenschaftlichen Ballonfahrer, nämlich der Abteilungsvorsteher im "Königlichen Meteorologischen Institut", Prof. Dr. Reinhard Süring und der engste Mitarbeiter von Prof. Dr. Richard Aßmann, Dr. Arthur Berson. Süring und Berson schreiben in ihrem Bericht über diese denkwürdige Ballonfahrt:

"...Nach 40 Minuten hatte der Ballon bereits eine Höhe von 5000 Metern erreicht. Erst in dieser Höhe nahm der Ballon seine Kugelform an. Die Temperatur war um mehr als 30 Grad auf -7 Grad gesunken. Wir fingen bereits zwischen 5 und 6 km Höhe mit der regelmäßigen Sauerstoffatmung an. Nach etwa dreistündiger Fahrt hatten wir 8000 Meter erstiegen, nach 4 Stunden 9000 Meter. Der Einfluß der nunmehr unter 1/3 Atmosphärendruck verdünnte und auf -32 Grad abgekühlten Luft machte sich in einer Steigerung der Schlafbedürfnisse geltend. Die letzte, Druck sowohl Temperatur umfassende Beobachtungsreihe wurde in 10 225 Metern prompt und völlig deutlich niedergeschrieben. Bald darauf fielen wir beide in tiefe Ohnmacht; Berson zog noch unmittelbar vorher mehrfach das Ventil, als er schon seinen Gefährten (Süring) schlafen sah (Berson und Süring 1901). ..."

Wie lebensgefährlich das ganze Unternehmen aber war, geht aus einer nicht besonders hervorgehobenen Bemerkung in dem Bericht von Berson und Süring hervor: "...Vor oder nach diesem Ventilziehen versuchte auch Süring in lichten Augenblicken seinem schlafenden Kollegen durch verstärkte Sauerstoffatmung aufzuhelfen, aber vergebens. Schließlich werden vermutlich beide Insassen ihre Atemschläuche verloren haben und dann in eine schwere Ohnmacht gesunken sein, aus welcher sie ziemlich gleichmäßig bei etwa 6000 Metern wieder erwachten ..."

Dabei war der Ballon im raschen Fall begriffen. Erst bei 2500 m Höhe bekamen beide den Ballon wieder ins Gleichgewicht, doch konnten beide Männer instrumentelle Beobachtungen wegen zu großer körperlicher Schwäche nicht mehr durchführen. Um 18 Uhr 25 landeten Süring und Berson im Kreis Cottbus. Sie wurden von einer großen Menschenmenge empfangen und übernachteten im Haus eines Pfarrers. Erst am nächsten Tag wurde mit Hilfe von 30 Mann das schwere Gerät geborgen und nach Berlin zurückgebracht.

Die Rekordhöhe von 10500 m (es können auch 10800 m gewesen sein, doch war die Registriertinte eingefroren, so dass man die Aufzeichnungen des Barographen nicht als einwandfreies Dokument gelten ließ) für eine bemannte offene Gondel wurde nie übertroffen. 1927 gelangte der amerikanische Captain H. C. Gray nach der Registrierung seines mitgeführten Barographen mit 12800 m zwar noch höher, überlebte diese Fahrt jedoch nicht.

Diese denkwürdige, weltweit bekannt gewordene Ballonfahrt von Süring und Berson brachte den Beweis, dass die mittels Registrierballonaufstiegen, z.B. auch am gleichen Tag, durchgeführten Messungen tatsächlich reelle Werte ermittelten, so dass die Erforschung der Atmosphäre mit den von Aßmann entwickelten Messinstrumenten ohne direkte menschliche Hilfe vorgenommen werden konnten.

Aßmann hatte schon von 1894-1897 eine Reihe von Registrierballonaufstiegen durchgeführt und bemerkt dazu später: "... Spuren schon bei den ersten Aufstiegen dieser Art mich stutzig machten und mir den Gedanken einer tatsächlichen oberen Temperaturinversion [in Höhen oberhalb der heute bekannten Tropopause (ergänzt von Labitzke)] schon in den Jahren 1894-1896, also lange vor Teisserenc de Bort, nahe legte" (Aßmann 1915).

Aßmann führte den Gummiballon in die Aufstiegstechnik ein, der den besonderen Vorteil hatte, dass seine Aufwärtsbewegung mit der Höhe nicht abnahm, so dass man auch in größten Höhen eine gute Ventilation der Temperaturmessgeräte hatte. Er war aber den Temperaturmessungen gegenüber außerordentlich kritisch, denn er hatte als erster festgestellt, das die Sonnenstrahlung einen temperaturverfälschenden Einfluss hat. Es galt bei ihm die Devise: "Baut brauchbare Instrumente, und führt, bis wir solche haben, lieber eine bemannte Fahrt als 3 Aufstiege mit den Ballonsonden aus" (Dubois 1955/1993).

Die bemannte Ballonfahrt von Süring und Berson war so bedeutend, weil man nun durch direkten Vergleich Vertrauen in die Messungen der Ballonsonden gewonnen hatte. In Absprache mit seinem Freund und Kollegen Teisserenc de Bort, der in Trappes bei Versailles in seinem privaten Observatorium ähnliche Aufstiege durchgeführt und auch ähnliche Zweifel bezüglich einer Verstrahlung der Temperatur hatte, wurden die Ergebisse, die beide Forscher jahrelang zurückgehalten hatten, Ende April bzw. Anfang Mai 1902 veröffentlicht und damit die Entdeckung der Stratospäre der Welt bekannt gegeben (Aßmann 1902; de Bort 1902).

Darüber, dass es sich um eine wichtige, fruchtbare Entdeckung gehandelt hat, waren sich die Zeitgenossen Aßmanns einig. So beschreibt Sir Hapier Shaw 1926 in seinem "Mannual of Meteorology" die Entdeckung der Stratosphäre als die "überraschenste Entdeckung in der ganzen Geschichte der Meteorologie".

Teisserenc de Bort teilt die Atmospäre nun in zwei Schichten ein, denen der die Namen Troposphäre und Stratosphäre gab. Die Troposphäre (tropos [griechisch] = drehen, wirbeln) ist die Schicht, in der es wirbelnd durcheinander geht, und die Stratosphäre ist die Schicht, in der es (scheinbar) ruhig zugeht. Den Namen Tropopause hat erst Shaw 1926 dazugefügt (Labitzke 1999).

Literatur:
Aßmann, R., 1902: Über die Existenz eines wärmeren Luftstromes in der Höhe von 10 bis 15 km. Sitzungsbericht der Königlich-Preußischen Akademie der Wissenschaften zu Berlin, Sitzung der physikalisch-mathematischen Klasse vom 1. Mai 1902, XXIV, 1-10.
Berson, A und R. Süring, 1901: Ein Ballonaufstieg bis 10 500m. Illustrierte Aeronautische Mitteilungen, Heft 4, S. 117-119
Dubois, P., 1955/1993: Das Observatorium Lindenberg in seinen ersten 50 Jahren 1905-1955. Geschichte der Meteorologie in Deutschland, 1, Selbstverlag des Deutschen Wetterdienstes.
Labitzke, K., 1999: Die Stratospäre: Phänamene, Geschichte, Relevanz. 177 S., Springer Verlag Berlin Heidelberg New York.
Teisserenc de Bort, L.P., 1902: Variantions de la température de l'air libre dans la zona comprise entre 8km et 13km d'altitude. Compres Rendus de l'Acad. Sci. Paris, 134, 987-989.