Zeit für Pioniere – Seite 1

Die Rio-Konferenz ist gescheitert. Sie ist weit zurückgefallen hinter die Aufbruchstimmung des Erdgipfels von 1992, von der Abschlusserklärung gehen keine Impulse aus. Insofern könnte man durchaus von einer Konferenz "Rio minus 20" sprechen. Mary Robinson , die frühere Staatspräsidentin Irlands und UN-Hochkommissarin für Menschenrechte, heute Ehrenpräsidentin der Entwicklungsorganisation Oxfam , brachte es auf einem Panel der World Leaders auf den Punkt: Wir werden unserer Aufgabe und Verantwortung nicht gerecht.

Die internationale Staatengemeinschaft ist nicht in der Lage, die dringend notwendige Transformation zu einer nachhaltigen Gesellschaft in der gebotenen Geschwindigkeit und Verbindlichkeit voranzutreiben. Belegbar wird das an dem rundum enttäuschenden Abschlussdokument – der Berg hat gekreißt und ein Mäuslein geboren. Selbst die Minimalziele wurden nicht erfüllt:

  • Die Aufwertung des UN-Umweltprogramms (UNEP) zu einer Sonderorganisation, etwa nach dem Vorbild des Welternährungsprogramms , ist nicht erfolgt. Zwar wird die UN-Vollversammlung aufgefordert, eine Reihe von Verbesserungen zu beschließen; so soll das UNEP unter anderem erhöhte und stabile finanzielle Mittel erhalten und UN-weite Umweltstrategien entwickeln dürfen. Aber die notwendige Schlagkraft erhält die UNEP damit bei weitem nicht.  
  • Es wird keinen Rat für nachhaltige Entwicklung geben. Stattdessen beschloss die Staatengemeinschaft die Einrichtung eines "hochrangigen politischen Forums", das die Kommission für nachhaltige Entwicklung ersetzen soll. Die genaue Funktionsweise des Forums wurde nicht festgelegt. Bis zur nächsten UN Generalversammlung soll über die Ausgestaltung des Mandats verhandelt werden. Angesichts der fehlenden Dynamik der internationalen Verhandlungen ist hier im Moment wenig zu erwarten. Die Staaten konnten sich auch nicht auf die Einsetzung einer Ombudsperson für künftige Generation einigen.
     
  • Das für Rio 20+ ausgegebene Konzept der "grünen Wirtschaft" (Green Economy), das Umweltschutz und Armutsbekämpfung zusammenführen soll, wurde zwar in der Abschlusserklärung verankert, es bleibt aber höchst vage und verbindet das geforderte Wirtschaftswachstum nicht systematisch mit dem höherrangigen Ziel der Nachhaltigkeit.

Man muss sich also fragen, ob Mammuttreffen dieser Art überhaupt noch etwas bewirken. Die Vielzahl der aufgerufenen Probleme führt dazu, dass kein einzelnes entschlossen angepackt wird. Die Zukunft der Menschheit ist zu kostbar, um sie dem fortwährenden Nationalstaaten-Mikado preiszugeben. Aber resignieren muss man deshalb nicht. Nach unserer Auffassung werden jetzt Allianzen zwischen einzelnen Staaten, Allianzen zwischen Städten, und das Engagement von Bürgern, Wirtschaft und Wissenschaft tragfähiger und wichtiger.

Wirtschaft, Wissenschaft und Zivilgesellschaft sind weiter und reifer als die politischen Führungen von Washington über Brüssel und Berlin bis Delhi und Beijing . Die deutsche Energiewende gewinnt vor diesem Hintergrund zusätzlich an Bedeutung als internationales Signal für die Machbarkeit und die Vorteile einer klimaverträglichen Entwicklung. 

Mit der Natur lässt sich nicht verhandeln

Das Beiprogramm der Konferenz in Rio hat auch gezeigt, dass die Transformation zur Nachhaltigkeit kein Zukunftsprogramm, sondern bereits in vollem Gange ist. Beispielsweise haben sich in Rio de Janeiro über 50 Entwicklungsländer im Konzert mit vielen Privatunternehmen zu ambitionierten Initiativen für mehr Nachhaltigkeit im Energiesektor verpflichtet. Diese orientieren sich an den drei Zielen des UN High Level Panel on Energy bis 2030, die es typischerweise nicht in die Abschlusserklärung schafften: Die Schaffung von universellem Zugang zu moderner Energie für alle Menschen, die Verdopplung der Energieeffizienz und des Anteils der erneuerbaren Energien.

Eine Gruppe afrikanischer Regierungen, die Weltbank und große Privatunternehmen einigten sich wiederum auf konkrete Initiativen zum Schutz des Naturkapitals afrikanischer Länder. Eine Versammlung der Nobelpreisträger sicherte die Unterstützung der Wissenschaft zu und stellte Fahrpläne für eine klimaverträgliche Transformation vor. Städte schmiedeten Allianzen und Unternehmen präsentierten neueste Umwelttechnologien. 

Auf der politischen Seite blockierten sich dagegen die EU und die USA gegenseitig. Hinzu kamen die Spannungen zwischen Schwellen- und Entwicklungsländern. Das Ergebnis ist eine internationale Führungs- und Vertrauenskrise, eine "G-Null-Welt", in der keine Führungsmacht mehr wirkungsvoll die Initiative ergreift und keine handlungsfähigen Koalitionen zustande kommen.

Auch wenn jetzt die globale Zivilgesellschaft mit guten Beispielen und intensiver Vernetzung die Initiative übernehmen muss und damit gewissermaßen an einem "täglichen Rio-Plus" arbeitet, kann sie auf die Rolle der Staaten und supranationalen Institutionen nicht verzichten. In und zwischen ihnen muss wieder Kommunikation stattfinden, die über das tägliche Krisenmanagement hinausgeht.

Es muss das Bewusstsein gestärkt werden, dass jenseits von Markt und Staat eine Sphäre globaler Kollektivgüter existiert, die im Interesse aller und künftiger Generationen gepflegt werden muss. Die internationale Politik muss wieder zum Pionier und Taktgeber werden. Sie trägt nach wie vor die historische Verantwortung für die Schaffung gemeinsamer Spielregeln.

Die Transformation zu einer grünen Wirtschaft muss von der gesamten Gesellschaft beschleunigt werden – denn die Natur lässt nicht mit sich verhandeln.